Neue Untersuchungen über flüssige Kristalle. II.
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ändernden Oberflächenspannungsdruck (Kapillardruck) das Gleich-
gewicht zu halten. Die Bezeichnung „flüssige" Kristalle wäre dann
nicht gerechtfertigt, ich nannte sie deshalb zunächst „fließende"
Kristalle^), speziell diejenigen des Ammoniumoleats, weil sie die
Eigenschaft haben xusamnienzu fließen, und drückte mich in
folgender Weise ausis): „Der Kristall verhält sich wie ein Tropfen
einer isotropen Flüssigkeit, welcher durch ein elastisch gespanntes
Gerüst im Innern zu polyedrischer Gestalt verzerrt ist. Die be-
deutenden Tensionsunterschiede, welche den außerordentlich
slarken Krümmungen an Ecken und Kanten entsprechen, werden
kompensiert durch die Elastizität des Innern."
Auch diese Deutung hat sich als unhaltbar erwiesen, denn
die Beobachtung lehrte, daß beliebige Bruchstücke der flüssigen
Kristalle von Ammoniumoleat, wie sie sich z. B. beim Zerreiben
größerer Individuen in gesättigter Lösung zwischen Objektträger
und Deckglas bilden, ganz von selbst sofort wieder zu den spitzen
Oktaedern ausrecken. Somit würde auch eine aus einem Kristall
herausgeschnittene Kugel dasselbe Verhalten zeigen müssen.
Solche Wirkungen vermag aber die Elastizität nicht hervorzu-
bringen. Sie sucht wohl einer durch äußeren Zwang deformierten
Kugel wieder die frühere Gestalt zu geben, eine undeformierte
Kugel behält aber ihre Form, denn ohne Deformation keine
elastische Kraft (ut tensio, sic vis).
Da die Erscheinung den Eindruck macht, als würde die
Ohorflächenhaut durch Kräfte von Innen heraus ausgebeult, so
konnten als solche Kräfte die Stöße der Moleküle in Betracht
kommen, vorausgesetzt, daß sie von der Richtung abhängig waren,
mit andern Worten, man konnte Anisotropie der Expansiv-
kraft., der Kraft, welche der Molekularattraktion das Gleich-
gewicht hält, als Ursache der polyedrischen Gestaltung der Kri-
stalte annehmen. In einem späteren Aufsatz n) schrieb ich da-
her : „Man hat die Expansivkraft eines Gases zu verdeutlichen
gesucht durch die Stöße, welche Erbsen auf die Wände einer
Schachtel ausüben, in welcher sie geschüttelt werden. Denkt
man sich die Erbsen ersetzt durch lange Drahtstifte^) so werden
IR Siehe mein Buch ErfsfnHe", Leipzig 1904, S. 24.
i6) 0. LEHMANN, & PAys., 77, 733, 1905.
ii) 0. LEHMANN, PAysPcnö ZeffscAr., 7, 724, 1906.
is) RiECKE schreibt in seinem Lehrbuch, a. a. 0., die Vorstellung, die
Moleküle seien stäbchenförmig, Herrn VORLÄNDER zu. Sie findet sich aber
schon lange vor den Publikationen des Herrn V. in meinen Arbeiten, z. B. in
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ändernden Oberflächenspannungsdruck (Kapillardruck) das Gleich-
gewicht zu halten. Die Bezeichnung „flüssige" Kristalle wäre dann
nicht gerechtfertigt, ich nannte sie deshalb zunächst „fließende"
Kristalle^), speziell diejenigen des Ammoniumoleats, weil sie die
Eigenschaft haben xusamnienzu fließen, und drückte mich in
folgender Weise ausis): „Der Kristall verhält sich wie ein Tropfen
einer isotropen Flüssigkeit, welcher durch ein elastisch gespanntes
Gerüst im Innern zu polyedrischer Gestalt verzerrt ist. Die be-
deutenden Tensionsunterschiede, welche den außerordentlich
slarken Krümmungen an Ecken und Kanten entsprechen, werden
kompensiert durch die Elastizität des Innern."
Auch diese Deutung hat sich als unhaltbar erwiesen, denn
die Beobachtung lehrte, daß beliebige Bruchstücke der flüssigen
Kristalle von Ammoniumoleat, wie sie sich z. B. beim Zerreiben
größerer Individuen in gesättigter Lösung zwischen Objektträger
und Deckglas bilden, ganz von selbst sofort wieder zu den spitzen
Oktaedern ausrecken. Somit würde auch eine aus einem Kristall
herausgeschnittene Kugel dasselbe Verhalten zeigen müssen.
Solche Wirkungen vermag aber die Elastizität nicht hervorzu-
bringen. Sie sucht wohl einer durch äußeren Zwang deformierten
Kugel wieder die frühere Gestalt zu geben, eine undeformierte
Kugel behält aber ihre Form, denn ohne Deformation keine
elastische Kraft (ut tensio, sic vis).
Da die Erscheinung den Eindruck macht, als würde die
Ohorflächenhaut durch Kräfte von Innen heraus ausgebeult, so
konnten als solche Kräfte die Stöße der Moleküle in Betracht
kommen, vorausgesetzt, daß sie von der Richtung abhängig waren,
mit andern Worten, man konnte Anisotropie der Expansiv-
kraft., der Kraft, welche der Molekularattraktion das Gleich-
gewicht hält, als Ursache der polyedrischen Gestaltung der Kri-
stalte annehmen. In einem späteren Aufsatz n) schrieb ich da-
her : „Man hat die Expansivkraft eines Gases zu verdeutlichen
gesucht durch die Stöße, welche Erbsen auf die Wände einer
Schachtel ausüben, in welcher sie geschüttelt werden. Denkt
man sich die Erbsen ersetzt durch lange Drahtstifte^) so werden
IR Siehe mein Buch ErfsfnHe", Leipzig 1904, S. 24.
i6) 0. LEHMANN, & PAys., 77, 733, 1905.
ii) 0. LEHMANN, PAysPcnö ZeffscAr., 7, 724, 1906.
is) RiECKE schreibt in seinem Lehrbuch, a. a. 0., die Vorstellung, die
Moleküle seien stäbchenförmig, Herrn VORLÄNDER zu. Sie findet sich aber
schon lange vor den Publikationen des Herrn V. in meinen Arbeiten, z. B. in