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Weizsäcker, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1917, 2. Abhandlung): Über die Energetik der Muskeln und insbesondere des Herzmuskels sowie ihre Beziehung zur Pathologie des Herzens — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.34625#0038
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38 (B. 2)

V. VON WEIZSÄCKER:

der Pathologie vorwirft, daß sie mit dem Elementarphysiologischen
operiert, wie wenn man der Physiologie vorwirft, daß sie immer
mit isolierten, also ,,kranken" Organen arbeite. Denn der Unter-
schied, auf den es hier ankommt, ist nicht der des Gesunden und
Kranken, sondern der des Einfachen und des Zusammengesetzten.
Daher wäre es systematisch richtiger, nicht zwischen Physiologie
und Pathologie zu unterscheiden, sondern zwischen Elementar-
lehre einerseits, Lehre vom gesunden und kranken Organismus
anderseits. Die aus solch komplizierten logischen Grundlagen
sich ergebenden Schwierigkeiten machen sich besonders fühlbar,
wenn, wie bei der Energetik des Herzens, die wesentlichsten ele-
mentaren Faktoren beim lebenden Menschen nicht meßbar sind.
Schlagvolumen, Arbeit, Wärmebildung, Gaswechsel — keine ein-
zige dieser Größen ist am gesunden oder kranken Herzen des Men-
schen meßbar. Um so überraschender ist der reichliche Gebrauch
des energetischen Gesichtspunktes in der praktischen Medizin.
Der Begriff des ,,schwachen Herzens" ist ebenso populär wie seine
Realität unbewiesen, und im Einzelfalle unbeweisbar. Der Schluß
von den an der Oberfläche des Körpers wahrnehmbaren peripheren
Erscheinungen auf das Herz selbst ist höchst unsicher und mangel-
haft, der Zustand des Kreislaufes wird allzuleicht mit dem des
Herzens identifiziert. Aber auch die Kenntnis der Herzarbeit
würde in keiner Weise den Gesamtenergieumsatz des Herzens
vermitteln.
Nun ist die für den Organismus wichtigste Leistung des Her-
zens auch gar nicht ein gewisses Quantum von Arbeit, sondern die
Förderung des Blutes, das Minutenvolumen. Das gleiche Blut-
volumen kann mit ganz verschieden großer Herzarbeit bewegt
werden, je nach den Widerständen, der Funktion der Klappen,
der Elastizität der Arterien; und ebenso kann dieselbe äußere
Herzarbeit wieder mit ganz verschiedenem Aufwand von Gesamt-
energie geleistet werden, je nach den Verlusten durch verschie-
dene andere Momente. Nur die verbreitete Hypothese der Herz-
schwäche ist es, welche die Aufmerksamkeit so vorwiegend auf die
Herzarbeit lenkt. In Wahrheit kann der schädliche Zustand eines
ungenügenden Minutenvolumens auf die verschiedenste Art und
Weise zustande kommen. Es ist daher zu überlegen, welche ener-
getischen Momente hier in Betracht gezogen werden müssen.
Davon, daß nicht allein die Herabsetzung des Minutenvolumens,
sondern auch pathologische Blutverteilungen und Druckverhält-
 
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