Anatomie als pädagogische Aufgabe.
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keit ebensogut wie die geistige Übersicht gefördert. Während
heute bei den Präparierübungen viele Studierende oftmals geistig
unbefruchtet ihre Arbeit des Tages verlassen, weil es einfach
unmöglich ist, in dem Riesenbetrieb unserer großen Präpariersäle
jedem Einzelnen so viel Anregung und Belehrung zu geben, wie
es in früheren Zeiten der Fall war, während Tag für Tag durch
Vorlesungen und Übungen reichlich ausgefüllt ist und darum
die Zeit zu ordentlicher Vorbereitung und geistiger Bewältigung
oftmals fehlt oder mit Einbußen in anderer Hinsicht erkauft wer-
den muß, läßt sich auf dem vorgeschlagenen Wege Zweckdien-
licheres und Erfreulicheres erreichen. Freilich ernster und fester
Wille bei Lehrer und Schüler gehört dazu, aber ich halte den für
vorhanden, und habe noch immer die Erfahrung gemacht, daß
wenn man von der Jugend produktive Arbeit verlangt und ihr
mit Rat und Tat fleißig vorangeht, sie niemals versagt. Ich betone
aber nochmals die Teilnehmerzahl bei solchen Übungen muß eine
beschränkte sein, sie darf höchstens 30—40 betragen. Bei solcher
Anzahl werden ein Professor und 1 bis 2 Assistenten einen flotten
Fortgang der Arbeit wohl gewährleisten können. Soweit notwendig,
sind Parallelkurse einzurichten.
Ich habe bisher nur vom Anfängerunterricht in der Anatomie
gesprochen; ihn halte ich in der Tat für am stärksten reform-
bedürftig, er muß in höherem Grade zur Selbständigkeit und gei-
stigen Beweglichkeit führen, dann werden sich die Früchte dessen
für die vorgerückteren Semester sehr bald geltend machen. Ist
durch die Ersetzung des ersten Präparierkurses durch das osteo-
mvologische Praktikum einmal die Flut der Präparanten, wie
durchaus notwendig, wirklich zurückgeebbt, dann läßt sich auf
dem Präpariersaal, dieser Zentralstelle des anatomischen Stu-
diums, der Hauptquelle persönlicher Erfahrungen, auch wieder
dasselbe erreichen, was früher erreicht wurde. Heute ist dies, wie
jeder Eingeweihte zugeben muß, trotz rastloser Einsetzung aller
Lehrkräfte an allen stärker besuchten Anatomien einfach unmög-
lich geworden. Viele Studierende drängen daher mehr in die
Hörsäle als zu den Präparierübungen und bereiten sich somit
nicht mehr in dem als notwendig zu betrachtenden Grade praktisch
auf ihren Beruf als Arzt vor. Die Handhabung der anatomischen
PrüfungimPhysikum hat dies, meinerÜberzeugungnach, begünstigt.
Es wird nicht selten allzuviel auf zahlreiche Einzelkenntnisse und zu
wenigauf tiefere selbständige Erfahrung, Zusammenhänge und geis-
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., math.-naturw. KL B. 1919. 6. Abh.
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keit ebensogut wie die geistige Übersicht gefördert. Während
heute bei den Präparierübungen viele Studierende oftmals geistig
unbefruchtet ihre Arbeit des Tages verlassen, weil es einfach
unmöglich ist, in dem Riesenbetrieb unserer großen Präpariersäle
jedem Einzelnen so viel Anregung und Belehrung zu geben, wie
es in früheren Zeiten der Fall war, während Tag für Tag durch
Vorlesungen und Übungen reichlich ausgefüllt ist und darum
die Zeit zu ordentlicher Vorbereitung und geistiger Bewältigung
oftmals fehlt oder mit Einbußen in anderer Hinsicht erkauft wer-
den muß, läßt sich auf dem vorgeschlagenen Wege Zweckdien-
licheres und Erfreulicheres erreichen. Freilich ernster und fester
Wille bei Lehrer und Schüler gehört dazu, aber ich halte den für
vorhanden, und habe noch immer die Erfahrung gemacht, daß
wenn man von der Jugend produktive Arbeit verlangt und ihr
mit Rat und Tat fleißig vorangeht, sie niemals versagt. Ich betone
aber nochmals die Teilnehmerzahl bei solchen Übungen muß eine
beschränkte sein, sie darf höchstens 30—40 betragen. Bei solcher
Anzahl werden ein Professor und 1 bis 2 Assistenten einen flotten
Fortgang der Arbeit wohl gewährleisten können. Soweit notwendig,
sind Parallelkurse einzurichten.
Ich habe bisher nur vom Anfängerunterricht in der Anatomie
gesprochen; ihn halte ich in der Tat für am stärksten reform-
bedürftig, er muß in höherem Grade zur Selbständigkeit und gei-
stigen Beweglichkeit führen, dann werden sich die Früchte dessen
für die vorgerückteren Semester sehr bald geltend machen. Ist
durch die Ersetzung des ersten Präparierkurses durch das osteo-
mvologische Praktikum einmal die Flut der Präparanten, wie
durchaus notwendig, wirklich zurückgeebbt, dann läßt sich auf
dem Präpariersaal, dieser Zentralstelle des anatomischen Stu-
diums, der Hauptquelle persönlicher Erfahrungen, auch wieder
dasselbe erreichen, was früher erreicht wurde. Heute ist dies, wie
jeder Eingeweihte zugeben muß, trotz rastloser Einsetzung aller
Lehrkräfte an allen stärker besuchten Anatomien einfach unmög-
lich geworden. Viele Studierende drängen daher mehr in die
Hörsäle als zu den Präparierübungen und bereiten sich somit
nicht mehr in dem als notwendig zu betrachtenden Grade praktisch
auf ihren Beruf als Arzt vor. Die Handhabung der anatomischen
PrüfungimPhysikum hat dies, meinerÜberzeugungnach, begünstigt.
Es wird nicht selten allzuviel auf zahlreiche Einzelkenntnisse und zu
wenigauf tiefere selbständige Erfahrung, Zusammenhänge und geis-
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., math.-naturw. KL B. 1919. 6. Abh.
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