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Bluntschli, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1919, 6. Abhandlung): Anatomie als pädagogische Aufgabe — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.36558#0021
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Anatomie als pädagogische Aufgabe.

(B. 6) 21

ben verlieren. Da wir vorzügliche Atlanten der Anatomie besitzen,
da wir heute die Möglichkeit haben, durch billige Reproduktions-
verfahren den Studierenden gewisse figürliche und tabellarische
Darstellungen zur Verteilung zu bringen, könnten diese Vorlesun-
gen von vieler zeichnerischer und systematischer Kleinarbeit wohl
entlastet werden. Schematische Skizzen werden vielfach am Platze
bleiben, aber die Klippe, daß Vorlesungen sich zu Zeichnenstunden
gestalten, muß zielbewußt umschifft werden. Der Hörer soll mit
seiner ganzen geistigen Frische bei der Sache sein und wirklich
dem lebendigen Wort lauschen, das da und dort durch volle Berück-
sichtigung der Anatomie am Lebenden und durch den Wechsel
methodischer Betrachtung (embryologische Entwicklung, verglei-
chend morphologische und physiologische Ableitung, entwicklungs-
mechanische Darstellung) die Vielseitigkeit der Gesichtswinkel an
geeigneten Beispielen klarstellen soll. In vielen Fällen halte ich
auch das Übergreifen auf Erfahrungen der pathologischen Ana-
tomie und klinischer Betrachtungsweise durchaus für berechtigt.
Der Hörer soll ja immer im Auge haben, daß unsere Abgliederung
der Einzeldisziplinen eine rein willkürliche Maßnahme ist und daß
eine solche Trennung wohl im System der Wissenschaften, nicht
aber in der Natur des Objektes Begründung findet. Ich glaube,
wir werden mit der Zeit zu einer Kürzung dieser systematischen
Vorlesungen kommen, ohne dabei eine Minderung der Lehrerfolge
befürchten zu müssen, sofern nur dem Präpariersaal seine über-
ragende Zentralstellung wieder gewonnen wird. Als ich in jungen
Jahren bei A. Lang in Zürich Zoologie und vergleichende Anatomie
hörte, da pflegte er in jeder Woche eine Vorlesungsstunde als Repe-
titionsstunde zu gestalten. Ich habe daraus großen Nutzen gezogen
und halte dieses Vorbild für nachahmenswert. Namentlich in Ver-
bindung mit Projektion von Präparaten und guten bildlichen Dar-
stellungen, die vorher den Studierenden zu selbständigem Studium
zugänglich waren, läßt sich im Spiel von Frage und Antwort
erhebliche Befestigung und Vertiefung des Wissensstoffes erreichen
und über die Scheu des Prüflings, der coram publico Rede stehen
soll, kann ein geschickter Lehrer leicht hinweghelfen. Für den
Lehrer selbst aber sind solche Repetitionsstunden, genau so wie
alle Examina, eine vorzügliche und stetige Erprobung seiner Lehr-
methode, und er wächst in ihnen so gut wie der Schüler.
Was den Unterricht in der Gewebelehre und mikrosko-
pischen Anatomie anbetrifft, so krankt die praktische Seite
 
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