Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 4. Abhandlung): Die Isisweihe bei Apuleius und verwandte Initiations-Riten — Heidelberg, 1917

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37637#0041
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Isisweihe bei Apuleius und verwandte Initiations-Riten. 41
auf beiden Seiten Ansätze zur späteren Entwicklung vorhanden
sind. Paulus lehrt eine kosmische Bedeutung Christi, mithin
Ansätze zu dem Christusmythus der späteren Gnosis; sie werden
uns noch zu beschäftigen haben. Zunächst richten wir den Blick
auf die andere Seite: Christen werden Kultgenossen anscheinend
„heidnischer“ Mysterien. Mit aller Vorsicht werden wir auch
dieses „Heidentum“ schon gnostisch beeinflußt glauben dürfen.
Die Verehrung der στοιχεία deutet wohl sicher darauf, daß dieser
Kult letzlich orientalischen Ursprungs ist; die Argumente, die
eine solche Herkunft bezeugen, hat Bousset1 gesammelt. Nun
fehlt aber diesen στοιχεία offenbar der Rahmen des heidnischen
Pantheons; darum fehlt ihrer Bekämpfung durch Paulus die spe-
zifisch antiheidnische Polemik. Statt dessen zeigen die positiven
Gedankengänge des Kolosserbriefes das Bestreben, kosmische
Spekulationen der Gegner durch ebensolche christliche Gedanken
zu ersetzen. Die Mysterien, in die sich Glieder der Christen-
gemeinde hatten einweihen lassen, waren demnach, wie es scheint,
nicht hellenistische Mysterien wie die der Isis und des Attis, also
Weiterbildungen orientalischer Religionen, in Mysterienform pro-
pagiert, mit mystischen Weihungen ausgestattet — sondern sie
waren dem Kreis der „heidnischen“ Religionen noch weiter ent-
rückt als jene uns bekannten Kulte, waren sozusagen entgöttert,
indem ihre mythische Grundlage in kosmische Spekulation gewan-
delt wurde: nicht „hellenistische“, sondern gnostische Myste-
rien. Die bisweilen in ihrer Existenz bestrittene Größe der vor-
christlichen Gnosis tritt dann in einem Einzelfall vor unser Auge,
und noch dazu in einem datierbaren Einzelfall.
Der höchst bedeutsame religionsgeschichtliche Prozeß, dessen
Zuschauer wir hier werden, läßt sich dann auf diese Formel brin-
gen: Entstehung einer christlich-gnostischen Bildung
durch doppelte Initiation, durch christliche Taufe und durch
Einweihung in bereits gnostisch abgewandelte Mysterien. Es ist
anzunehmen, daß dieser Prozeß sich nicht nur in Kolossä abge-
spielt hat. Aus späterer Zeit haben wir ein Zeugnis für einen
ähnlichen Vorgang; seine Bedeutung wird allerdings durch den
Umstand gemindert, daß die Christen, um die es sich hier handelt,
schon christliche Gnostiker sind, daß also der fragliche Prozeß
die christlich-gnostische Bildung nicht erst entstehen läßt, sondern

1 Hauptprobleme der Gnosis 223 ff; vgl. auch Gott. Anz. 1914, 697—755.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften