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Hermann Güntert:
18. Für meine Ansicht aber, daß in der Tat das Hilfsverbum
unmittelbar an den Aoriststamm antrat, lassen sich von verschie-
denen Seiten Gründe beibringen. Wenn man zunächst erwägt,
daß es sich nach unseren seitherigen Ausführungen nicht um eine
ganz neue periphrastische Umschreibung handeln kann, bei denen
stets zwei selbständige Glieder vorliegen (wie in amätus sum, amä-
türus sum, amandus sum usw.), und daß anderseits der Wortteil
vor dem Ausgang -fäm alte Aoriststämme fortsetzt, so bleibt
ja kaum ein anderer Ausweg übrig, den die Sprache bei der Umge-
staltung hätte einschlagen können. Die dem alten Tempusstamm
selbst ursprünglich innewohnende Kraft, die im Schwinden war,
wurde dadurch von neuem erhalten und sogar gesteigert, daß ein
entsprechendes Hilfsverbum, und zwar ebenfalls ein Aorist, diese
Funktion deutlicher ausdrücken mußte. Ebenso wurden Futura
gebildet, indem man ein entsprechendes Hilfsverbum *bhuö „ich
werde“, das mit flo ablautet, zur Verdeutlichung dem Tempus-
stamm folgen ließ. Dies ist im Prinzip und hinsichtlich des Sprach-
gefühls nichts anderes, als wenn der Inder statt vidarn cakara etwa
vidam ilsa sagt und dabei eine Ausdrucksweise „ich war wissend“,
„ich bin wissend gewesen“ empfunden haben mag (s. o. § 16).
Es ist schließlich dasselbe, wenn man im Griechischen dem Akkusa-
tiv ’AaH)va<; „nach Athen“ zur Verdeutlichung ein Adverbium §e,
das mit unserem nhd. zu verwandt ist, enge anhing, so daß ’AtHjvcGs
entstand. Daß das Flilfsverbum an den reinen Stamm antrat,
ist für das Indogermanische keineswegs so unerhört und auffallend,
wie es vielleicht manchem zunächst erscheinen mag. Ich will nicht
weiter davon reden, daß z. B. im Georgischen umschreibende Verba
in der Weise gebildet werden, daß an den Präsensstamm die Kopula
angehängt wird (vzivar „ich bin sitzend“, zihar „du bist sitzend",
Dirr Georg. Gramm. 72), oder daß in Bantusprachen „durch
Verbindung des Verbalstamms mit den Wurzeln be „sein“ oder
ya „gehen“ eine Imperfektform gebildet wird“ (F. Müller Grdr.
d. Sprachw. I, 2, 259), sondern glücklicherweise liegen im indoger-
manischen Sprachbereich, und zwar im nächstverwandten Kelti-
schen, und vor allem und hauptsächlich im Latein selbst andere
Bildungen vor, die die Möglichkeit, daß das Hilfsverbum
dient in Verbindung mit dem Partiz. Praet. Akt. II auf -lo zur Umschreibung
des Konditionals, der auch in Absichtssätzen häufig ist, z. B. da bq slysali
„damit sie hören“.
Hermann Güntert:
18. Für meine Ansicht aber, daß in der Tat das Hilfsverbum
unmittelbar an den Aoriststamm antrat, lassen sich von verschie-
denen Seiten Gründe beibringen. Wenn man zunächst erwägt,
daß es sich nach unseren seitherigen Ausführungen nicht um eine
ganz neue periphrastische Umschreibung handeln kann, bei denen
stets zwei selbständige Glieder vorliegen (wie in amätus sum, amä-
türus sum, amandus sum usw.), und daß anderseits der Wortteil
vor dem Ausgang -fäm alte Aoriststämme fortsetzt, so bleibt
ja kaum ein anderer Ausweg übrig, den die Sprache bei der Umge-
staltung hätte einschlagen können. Die dem alten Tempusstamm
selbst ursprünglich innewohnende Kraft, die im Schwinden war,
wurde dadurch von neuem erhalten und sogar gesteigert, daß ein
entsprechendes Hilfsverbum, und zwar ebenfalls ein Aorist, diese
Funktion deutlicher ausdrücken mußte. Ebenso wurden Futura
gebildet, indem man ein entsprechendes Hilfsverbum *bhuö „ich
werde“, das mit flo ablautet, zur Verdeutlichung dem Tempus-
stamm folgen ließ. Dies ist im Prinzip und hinsichtlich des Sprach-
gefühls nichts anderes, als wenn der Inder statt vidarn cakara etwa
vidam ilsa sagt und dabei eine Ausdrucksweise „ich war wissend“,
„ich bin wissend gewesen“ empfunden haben mag (s. o. § 16).
Es ist schließlich dasselbe, wenn man im Griechischen dem Akkusa-
tiv ’AaH)va<; „nach Athen“ zur Verdeutlichung ein Adverbium §e,
das mit unserem nhd. zu verwandt ist, enge anhing, so daß ’AtHjvcGs
entstand. Daß das Flilfsverbum an den reinen Stamm antrat,
ist für das Indogermanische keineswegs so unerhört und auffallend,
wie es vielleicht manchem zunächst erscheinen mag. Ich will nicht
weiter davon reden, daß z. B. im Georgischen umschreibende Verba
in der Weise gebildet werden, daß an den Präsensstamm die Kopula
angehängt wird (vzivar „ich bin sitzend“, zihar „du bist sitzend",
Dirr Georg. Gramm. 72), oder daß in Bantusprachen „durch
Verbindung des Verbalstamms mit den Wurzeln be „sein“ oder
ya „gehen“ eine Imperfektform gebildet wird“ (F. Müller Grdr.
d. Sprachw. I, 2, 259), sondern glücklicherweise liegen im indoger-
manischen Sprachbereich, und zwar im nächstverwandten Kelti-
schen, und vor allem und hauptsächlich im Latein selbst andere
Bildungen vor, die die Möglichkeit, daß das Hilfsverbum
dient in Verbindung mit dem Partiz. Praet. Akt. II auf -lo zur Umschreibung
des Konditionals, der auch in Absichtssätzen häufig ist, z. B. da bq slysali
„damit sie hören“.