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Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0020
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16

Hugo Koch:

Apostelbeschluß hervorging, wählte: άπέχεσθαι των άλισγημάτων των
ειδώλων καί τής πορνείας καί πνικτοΰ καί αίματος (Act. 15, 20)1.
Und schon de pat. c. 5 behandelt er, wie wir soeben sahen, die Un-
zucht zwischen Mord und Götzendienst. Ebenso zieht Tertullian,
De pud. 5 die vier ersten Gebote des Dekalogs in eines zusammen
und setzt das sechste Gebot vor das fünfte. Allein auch Luk. 18,
20 steht das μή μοιχεύσης vor dem μή φονεύσης und die
drei ersten Gebote sind ganz weggelassen, und das vierte kommt
hinter dem achten. Paulus setzt Rom. 13, 8 ebenfalls das
sechste Gebot vor das fünfte, wie auch in der Septuaginta Exod.
20, 13 der Ehebruch an erster Stelle steht (vgl. Weinel, Bibi.
Theo!, d. N. T., 1911, 355). Daß die Zählung im Dekalog
von jeher schwankte und bis auf den heutigen Tag zwischen
römischen Katholiken und Lutheranern einerseits, Reformierten
und griechischen Katholiken anderseits verschieden ist, ist ja be-
kannt (vgl. Bertholet in Schieles RGG. 1, 2020ff.)2-
Essers Urteil über Tertullians Beweisart ist also jedenfalls
übertrieben, ungerecht und ungeschichtlich, weil es den Maßstab
neuzeitlicher wissenschaftlicher Genauigkeit an einen alten Kirchen-

1 Auch in der Did. c. 3 findet sich die Aufzählung: φόνοι, μοιχεϊαι, ειδωλο-
λατρία, κλοπή, βλασφημία, C. 5 : φόνοι, μοιχεϊαι, έπιθυμίαι, πορνεΐαι, κλοπαί, είδωλο-
λατρίαι, μαγεΐαι κτλ., im Barnabasbrief c. 20: είδωλολατρεία, μαγεία, φόνος,
άρπαγή κτλ.
2 Übrigens teilt Tertullian die Gepflogenheit, eine Schriftstelle erst zu
ändern und die so zugerichtete Stelle auszunützen, mit einem Manne, bei
dem Esser sich hüten wird auf „Fälschung und Mißbrauch“ zu erkennen
•—- mit Paulus, der Stellen des Alten Testaments entgegen ihrem handgreif-
lichen ursprünglichen Sinne faßt oder durch eigene Zusätze erweitert, diese
Zusätze dann als Schriftworte behandelt und gerade darauf seinen Beweis
aufbaut. So Röm. 3 20. 4,25. 10,6ff. Gal. 2, 16. Wie Tertullian, De pud.
12, 5: „Interdictum enim sanguinis multo magis humani intellegemus“, so
schreibt Paulus, I. Cor. 9, 9: μή των βοών μέλει τω θεω; ή δί ήμας πάντως
λέγει (Deut. 25, 4); vgl. Η. J. Holtzmann, Lehrb. d. neutestamentl. Theol.2,
1911, II, 37 ff.; H. Weinel, Bibi. Theologie des N. T., 1911, 320 ff.;
Joh. Weiss, Das Urchristentum, 1914, 332ff., 375. Wie der Beweis für
die Messianität Jesu von den Evangelien an mit einer Vergewaltigung des
A. T. arbeitet, ist bekannt, vgl. Paul Wendland, Die hellenistisch-römische
Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum211· 3, 1912, 291.
Über die auf die phiionische Methode zurückgehenden Freiheiten der patri-
stischen Schrifterklärung vgl. noch Heinisch, Der Einfluß Philos auf die
älteste christliche Exegese, 1907, und Harnack, Lehrbuch der Dogmen-
geschichte4, 1909, I, 130.
 
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