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Hugo Koch:
die Vergebung bei Ehebruch und Unkeuschheit nicht, wie die
„multinubentia“, auf kirchlichem Herkommen beruht, daß die
Kirche jene Nachsicht nicht von jeher zeigte, sondern erst in einer
Schwächeanwandlung sich abringen ließ. Die lateinischen Worte
lauten: sed jam haec gloria extinguitur et quidem per eos, quos
tanto constantius oportuerat ejus modi maculis nullam sub-
scribere veniam, quanto propterea quotiens volunt nubunt, ne
moechiae et fornicationi succidere cogantur. Die Vorvergangenheit
,,oportuerat“ und die Wendung „subscribere“ deuten auf einen
geschichtlichen Augenblick hin, wo die Kirche, statt in ihrer
Weigerung standhaft zu bleiben, sich zu einer verhängnisvollen
„Unterschrift“ herbeiließ. Umgekehrt heißt es von der montani-
stischen Haltung De pud. 1, 70 f.: ,,Nobis autem maxima aut
summa sic quoque praecaventur, dum nec secundas quidem
post fidem nuptias permittitur nosse . . digamos foris sistimus;
eundem limitem liminis moechis quoque et fornicatoribus figimus“.
Wir sind oben (S. 29) zum Ergebnis gekommen, daß der Streit De
monogamia dem De pudicitia vorangegangen sein muß und zurZeit
der Schrift De monog. Katholiken und Montanisten in der Aus-
schließung der Ehebrecher noch einig gewesen sein müssen. De pud. 1,
15 und 1, 20f. bestätigt und beleuchtet aufs neue diesen Sachverhalt:
bei den Montanisten ist das Verbot der zweiten Ehe und deren Be-
strafung mit Ausschluß bereits in Übung; dieselbe Strafe besteht
aber auch für Ehebrecher und Unzüchtige. Die Gegenwartsformen
sistimus und figimus stehen sich ganz gleich und bezeugen eine
schon vorhandene Übung. Nichts deutet darauf hin, daß das
figimus im Unterschied von dem sistimus eben erst eingetreten sei.
Andernfalls hätte Tertullian mit geradezu durchtriebenen Mitteln
den Sachverhalt verschleiert und gefälscht. Durchtriebene Fälscher
aber sind kalt berechnende und die Herrschaft über sich selbst
bewahrende Naturen, keine hitzigen und überschäumenden wie
Tertullian.
Wie wenig die Lossprechung der Fleischessünder die bisherige
Gewohnheit der Kirche für sich hatte, geht auch noch daraus
hervor, daß die Katholiken selber sich nicht darauf beriefen.
Sonst hätte Tertullian kaum versäumt, auch dagegen seine Spitz-
findigkeit spielen zu lassen und der „consuetudo“ die „ratio“
und „veritas“ entgegenzustellen, wie in den Schriften De virg.
vel., De monog., De jejun. Das Schweigen der Katholiken von
der Überlieferung ist aber um so beredter, als man sie in Rom
Hugo Koch:
die Vergebung bei Ehebruch und Unkeuschheit nicht, wie die
„multinubentia“, auf kirchlichem Herkommen beruht, daß die
Kirche jene Nachsicht nicht von jeher zeigte, sondern erst in einer
Schwächeanwandlung sich abringen ließ. Die lateinischen Worte
lauten: sed jam haec gloria extinguitur et quidem per eos, quos
tanto constantius oportuerat ejus modi maculis nullam sub-
scribere veniam, quanto propterea quotiens volunt nubunt, ne
moechiae et fornicationi succidere cogantur. Die Vorvergangenheit
,,oportuerat“ und die Wendung „subscribere“ deuten auf einen
geschichtlichen Augenblick hin, wo die Kirche, statt in ihrer
Weigerung standhaft zu bleiben, sich zu einer verhängnisvollen
„Unterschrift“ herbeiließ. Umgekehrt heißt es von der montani-
stischen Haltung De pud. 1, 70 f.: ,,Nobis autem maxima aut
summa sic quoque praecaventur, dum nec secundas quidem
post fidem nuptias permittitur nosse . . digamos foris sistimus;
eundem limitem liminis moechis quoque et fornicatoribus figimus“.
Wir sind oben (S. 29) zum Ergebnis gekommen, daß der Streit De
monogamia dem De pudicitia vorangegangen sein muß und zurZeit
der Schrift De monog. Katholiken und Montanisten in der Aus-
schließung der Ehebrecher noch einig gewesen sein müssen. De pud. 1,
15 und 1, 20f. bestätigt und beleuchtet aufs neue diesen Sachverhalt:
bei den Montanisten ist das Verbot der zweiten Ehe und deren Be-
strafung mit Ausschluß bereits in Übung; dieselbe Strafe besteht
aber auch für Ehebrecher und Unzüchtige. Die Gegenwartsformen
sistimus und figimus stehen sich ganz gleich und bezeugen eine
schon vorhandene Übung. Nichts deutet darauf hin, daß das
figimus im Unterschied von dem sistimus eben erst eingetreten sei.
Andernfalls hätte Tertullian mit geradezu durchtriebenen Mitteln
den Sachverhalt verschleiert und gefälscht. Durchtriebene Fälscher
aber sind kalt berechnende und die Herrschaft über sich selbst
bewahrende Naturen, keine hitzigen und überschäumenden wie
Tertullian.
Wie wenig die Lossprechung der Fleischessünder die bisherige
Gewohnheit der Kirche für sich hatte, geht auch noch daraus
hervor, daß die Katholiken selber sich nicht darauf beriefen.
Sonst hätte Tertullian kaum versäumt, auch dagegen seine Spitz-
findigkeit spielen zu lassen und der „consuetudo“ die „ratio“
und „veritas“ entgegenzustellen, wie in den Schriften De virg.
vel., De monog., De jejun. Das Schweigen der Katholiken von
der Überlieferung ist aber um so beredter, als man sie in Rom