46
Hugo Koch:
wurde. Als Montanist aber ärgert sich Tertullian darüber, daß
sein Gegner die Gewalt der Sündennachlassung auch noch seinen,
d. h. den katholischen Märtyrern beilege (De pud. 22, 1: At tu
jam et in martyras tuos effundis hanc potestatem). Die Märtyrer
der „Psychiker“, die den „Parakleten“ leugnen, entbehren ihm
ebendarum des geistlichen Charakters. Sonst würden sie ja auch
nicht von Ehebruch und Unzucht lossprechen. Überhaupt, meint
er, sollten Märtyrer froh sein, durch ihr Leiden die eigenen Sünden
getilgt zu haben, da stellvertretendes Leiden und Sterben nur
beim Sohne Gottes zutreffe (De pud. 22, 4)1. So hat Tertullian
auch seine frühere Anschauung über die Bedeutung der Märtyrer
für die Sündenvergebung2 widerrufen — ein Grund mehr zu seiner
bereits erörterten Erklärung im Eingang von De pud. (1, 10 ff.).
Der durch das ,,Edikt“ entfesselte Bußstreit ist ein Abschnitt,
und nicht der unwichtigste, aus dem Kampf zwischen „Amt“
und „Geist“ und damit aus der Geschichte der Katholisierung
der Kirche. Unbestritten war bereits die Lossprechungsgewalt
des Amtsträgers, des Bischofs, bei leichteren Sünden (De pud.
18, 18), sowie seine Ausschließungsbefugnis bei Hauptsünden
(De pud. 14, 16). Gegen die Inanspruchnahme der Lossprechungs-
gewalt durch den Bischof bei schweren Sünden aber legte der
Montanismus im Namen des „Geistes“ Verwahrung ein: nur Gott
kann diese Sünden nachlassen und nur die „Geisteskirche“ kann
durch „Geistliche“, die in Gottes Gedanken eindringen, die Nach-
lassung verkünden: „Nam et ipsa ecclesia proprie et principaliter
ipse est spiritus .... et ideo ecclesia quidem delicta donabit, sed
ecclesia spiritus per spiritalem hominem, non ecclesia numerus
episcoporum“ (De pud. 21, 16f.). Hier wehrt sich der Geist gegen
das Amt, der Geistliche gegen den Bischof, das Urchristentum
gegen den Katholizismus. Die Zukunft aber gehörte dem Katho-
lizismus, der Amtskirche.
1 Auf alle Fälle müßten die Märtyrer ihre Befugnis zur Lossprechung
von Pleischessünden durch außerordentliche Gaben nachweisen. De pud.
22, 6: Si propterea Christus in martyre est, ut moechos et fornicatores martyr
absolvat, occulta cordis edicat, ut ita delicta concedat, et Christus est. Es
fehlt also auch in De pud. der pneumatische Gedanke bezüglich der Märtyrer
nicht ganz, wie Rolffs (Das Indulgenzedikt Kallists, 1893, 61) meint.
2 Vgl. die — übrigens schwache — Dissertation von Wilh. Hellmanns,
Wertschätzung des Martyriums als eines Rechtfertigungsmittels in der alt-
christlichen Kirche, Breslau 1912, 24 ff.
Hugo Koch:
wurde. Als Montanist aber ärgert sich Tertullian darüber, daß
sein Gegner die Gewalt der Sündennachlassung auch noch seinen,
d. h. den katholischen Märtyrern beilege (De pud. 22, 1: At tu
jam et in martyras tuos effundis hanc potestatem). Die Märtyrer
der „Psychiker“, die den „Parakleten“ leugnen, entbehren ihm
ebendarum des geistlichen Charakters. Sonst würden sie ja auch
nicht von Ehebruch und Unzucht lossprechen. Überhaupt, meint
er, sollten Märtyrer froh sein, durch ihr Leiden die eigenen Sünden
getilgt zu haben, da stellvertretendes Leiden und Sterben nur
beim Sohne Gottes zutreffe (De pud. 22, 4)1. So hat Tertullian
auch seine frühere Anschauung über die Bedeutung der Märtyrer
für die Sündenvergebung2 widerrufen — ein Grund mehr zu seiner
bereits erörterten Erklärung im Eingang von De pud. (1, 10 ff.).
Der durch das ,,Edikt“ entfesselte Bußstreit ist ein Abschnitt,
und nicht der unwichtigste, aus dem Kampf zwischen „Amt“
und „Geist“ und damit aus der Geschichte der Katholisierung
der Kirche. Unbestritten war bereits die Lossprechungsgewalt
des Amtsträgers, des Bischofs, bei leichteren Sünden (De pud.
18, 18), sowie seine Ausschließungsbefugnis bei Hauptsünden
(De pud. 14, 16). Gegen die Inanspruchnahme der Lossprechungs-
gewalt durch den Bischof bei schweren Sünden aber legte der
Montanismus im Namen des „Geistes“ Verwahrung ein: nur Gott
kann diese Sünden nachlassen und nur die „Geisteskirche“ kann
durch „Geistliche“, die in Gottes Gedanken eindringen, die Nach-
lassung verkünden: „Nam et ipsa ecclesia proprie et principaliter
ipse est spiritus .... et ideo ecclesia quidem delicta donabit, sed
ecclesia spiritus per spiritalem hominem, non ecclesia numerus
episcoporum“ (De pud. 21, 16f.). Hier wehrt sich der Geist gegen
das Amt, der Geistliche gegen den Bischof, das Urchristentum
gegen den Katholizismus. Die Zukunft aber gehörte dem Katho-
lizismus, der Amtskirche.
1 Auf alle Fälle müßten die Märtyrer ihre Befugnis zur Lossprechung
von Pleischessünden durch außerordentliche Gaben nachweisen. De pud.
22, 6: Si propterea Christus in martyre est, ut moechos et fornicatores martyr
absolvat, occulta cordis edicat, ut ita delicta concedat, et Christus est. Es
fehlt also auch in De pud. der pneumatische Gedanke bezüglich der Märtyrer
nicht ganz, wie Rolffs (Das Indulgenzedikt Kallists, 1893, 61) meint.
2 Vgl. die — übrigens schwache — Dissertation von Wilh. Hellmanns,
Wertschätzung des Martyriums als eines Rechtfertigungsmittels in der alt-
christlichen Kirche, Breslau 1912, 24 ff.