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Koch, Hugo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 22. Abhandlung): Kallist und Tertullian: ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Bußstreitigkeiten und des römischen Primats — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37699#0053
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Kallist und Tertullian.

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πεπληγότες) und von vielen häretischen Gemeinschaften ausge-
stoßen worden waren, einige aber auch, die von Hippolyt durch
Verurteilung aus der Kirche ausgeschlossen worden waren (επί
καταγνώσει έκβλητοι τής εκκλησίας ύφ* ημών γενόμενοι), zu Kallist
übergegangen. Um was für Sünden und Gewissensbefleckungen es
sich handelt, hat das τά προς τάς ήδονάς schon gesagt. Es gab
also ketzerische Gemeinschaften, bei denen auf Fleischessünden
der Ausschluß stand, und dieselbe Strenge herrschte in der
Kirche Hippolyts, während Kallist solche Sünder aufnahm,
wobei er der erste war, der einer solchen Nachsicht huldigte. Ist
das nicht gerade das, was Tertullian seinem Gegner vorwirft ?
Es versteht sich von selbst, daß Kallist, wenn er Fleischessünder
aus fremden Gemeinschaften so bereitwillig aufnahm, seine eigenen
Sünder ebenso schonend behandelte und nicht mit Ausschluß
bestrafte. Hippolyt hebt eben die Seite des Kallistschen Ver-
fahrens hervor, die für ihn am empörendsten war, weil sie die
Strenge anderer Gemeinschaften zur Bevölkerung seiner „Schule“
ausnützte: der Auswurf der „Kirche“ und noch mehr der Auswurf
der Ketzereien strömt Kallist zu!
Die Anschauung Kallists von der Unabsetzbarkeit eines
Bischofs „auch bei einer Todsünde“ steht ebenfalls unter dem
Zeichen seiner Nachsicht gegen die ήδοναί. Es sind also auch hier
Fleischessünden gemeint. Auch deshalb, weil, wie bereits Rolffs
(Das Indulgenzedikt Kallists, 1893, 137) bemerkt hat, bei absoluter
Unabsetzbarkeit des Bischofs bei jedem Vergehen, die nachfolgen-
den Anklagen überflüssig wären.
Auch die weiteren Vorwürfe, daß δίγαμοι καί τρίγαμοι in
den höheren Klerus aufgenommen und nach der Weihe heira-
tende Geistliche im Klerus belassen würden, sowie die Duldung
von standeswidrigen Ehen mit ihren unseligen Folgen beleuchten
Kallists Nachgiebigkeit gegen das Fleisch1.
1 Hippolyt sagt nicht, wie d’Ales (L’edit de Calliste, 225) meint, daß
Kallist neben der μοιχεία auch den Mord nachlasse, sondern daß er mit
seiner Maßregel zu μοιχεία und φόνος zugleich anleite (έν τω αύτω διδάσκων).
Kallist duldet oder begünstigt Verbindungen, die seinem nach dem römischen
Recht urteilenden Gegner als μοιχεία erscheinen und erfahrungsgemäß nicht
selten zugleich zu Verbrechen gegen das keimende Leben führen. Es steht
hier, wie H. v. Soden (Theol. Litztg., 1916, 174) richtig bemerkt, nicht so-
wohl die Vergebbarkeit der Unzucht als ihr Begriff zur Frage, ein Unter-
schied, den Hippolyt in seinem Streitgange natürlich nicht zu seinem Recht
kommen läßt, wenn er ihn auch nicht völlig verwischt. Mit Recht bemerken
Sitzungsberichte der Heidelb. Akad.. philos.-hist. Kl. 1919. 22. Abh. 4
 
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