60
Hugo Koch:
Hier stocke ich schon und muß meiner Verwunderung Ausdruck
geben, daß ein katholischer Dogmatiker auf einmal die Katholi-
zität des christlichen Altertums so einengt. Freilich war Tertullian
aus der Gemeinde von Karthago ausgetreten, aber eben damit
hatte er die Gemeinschaft mit der katholischen Kirche aufgegeben,
und es ist nicht einzusehen, warum er nicht diese in ihrem ganzen
Umfang im Auge haben sollte1. Esser glaubt, es könnten nur
jene „Psychiker“ gemeint sein, die ihn und seine Entwicklung
gekannt und ihm darum Selbstwiderspruch und Leichtfertigkeit
vorwerfen gekonnt hätten, also nur die Katholiken von Karthago.
Allein der schlagfertige Verteidiger der Kirche gegen Heidentum
und Ketzerei, ein Schriftsteller von der Eigenart, der Bedeutung
und dem Stimmumfang Tertullians, der Schriften griechisch und
lateinisch veröffentlichen konnte, war sicher weit über die Grenzen
der karthagischen und afrikanischen Kirche hinaus bekannt und
sein Bruch mit der Kirche hatte sicher nicht allein in Karthago
und in Afrika Aufsehen und Bedauern hervorgerufen. Die abend-
ländische Kirche war damals wahrlich nicht so reich an schrift-
stellerischen Vertretern, daß ein Tertullian hätte in weiteren Kreisen
unbeachtet bleiben können2 *. Allerdings ist in adv. Prax c. 1 —
Manet chirographum (Praxeae) apud psychicos, apud quos tune
gesta res est . . et nos quidem postea agnitio paracleti atque
defensio disjunxit a psychicis — unter den ,,psychici£i die katho-
lische Gemeinde Karthagos gemeint, aber damit ist für De pud.
nichts bewiesen, ja selbst adv. Prax. kann das zweite ,,psychici‘£
weiter gefaßt werden.
2. Esser verweist ferner (S. 10ff.) auf den Wechsel von
Mehrzahl und Einzahl der von Tertullian bald redend eingeführten,
bald angeredeten und angegriffenen Gegner. Aus der Gemein-
schaft der psychici trete eine, offenbar angesehene, die Obliegen-
heiten des Bußwesens leitende Persönlichkeit, also ein Bischof,
besonders hervor und dies könne, da die als Gruppe angeredete
Gemeinschaft die katholische Gemeinde von Karthago sei, nicht
der Bischof von Rom, sondern nur der von Karthago sein. In
diesem Zusammenhang gehörten Hirt und Herde zusammen. Dieser
1 Vgl. H. Koch, Cyprian und der römische Primat, 1910, 77ff.
2 „Den Austausch der christlichen Schriften in der Kirche seit dem
1 tzten Viertel des 2. Jahrhunderts kann man sich nicht lebhaft genug denken.“
Harnack, Lehrb. der Dogmengeschichte4 I, 352. Vgl. seine Missionsgeschichte2
I, 31 Off. (3. Aufl. I, 352ff.).
Hugo Koch:
Hier stocke ich schon und muß meiner Verwunderung Ausdruck
geben, daß ein katholischer Dogmatiker auf einmal die Katholi-
zität des christlichen Altertums so einengt. Freilich war Tertullian
aus der Gemeinde von Karthago ausgetreten, aber eben damit
hatte er die Gemeinschaft mit der katholischen Kirche aufgegeben,
und es ist nicht einzusehen, warum er nicht diese in ihrem ganzen
Umfang im Auge haben sollte1. Esser glaubt, es könnten nur
jene „Psychiker“ gemeint sein, die ihn und seine Entwicklung
gekannt und ihm darum Selbstwiderspruch und Leichtfertigkeit
vorwerfen gekonnt hätten, also nur die Katholiken von Karthago.
Allein der schlagfertige Verteidiger der Kirche gegen Heidentum
und Ketzerei, ein Schriftsteller von der Eigenart, der Bedeutung
und dem Stimmumfang Tertullians, der Schriften griechisch und
lateinisch veröffentlichen konnte, war sicher weit über die Grenzen
der karthagischen und afrikanischen Kirche hinaus bekannt und
sein Bruch mit der Kirche hatte sicher nicht allein in Karthago
und in Afrika Aufsehen und Bedauern hervorgerufen. Die abend-
ländische Kirche war damals wahrlich nicht so reich an schrift-
stellerischen Vertretern, daß ein Tertullian hätte in weiteren Kreisen
unbeachtet bleiben können2 *. Allerdings ist in adv. Prax c. 1 —
Manet chirographum (Praxeae) apud psychicos, apud quos tune
gesta res est . . et nos quidem postea agnitio paracleti atque
defensio disjunxit a psychicis — unter den ,,psychici£i die katho-
lische Gemeinde Karthagos gemeint, aber damit ist für De pud.
nichts bewiesen, ja selbst adv. Prax. kann das zweite ,,psychici‘£
weiter gefaßt werden.
2. Esser verweist ferner (S. 10ff.) auf den Wechsel von
Mehrzahl und Einzahl der von Tertullian bald redend eingeführten,
bald angeredeten und angegriffenen Gegner. Aus der Gemein-
schaft der psychici trete eine, offenbar angesehene, die Obliegen-
heiten des Bußwesens leitende Persönlichkeit, also ein Bischof,
besonders hervor und dies könne, da die als Gruppe angeredete
Gemeinschaft die katholische Gemeinde von Karthago sei, nicht
der Bischof von Rom, sondern nur der von Karthago sein. In
diesem Zusammenhang gehörten Hirt und Herde zusammen. Dieser
1 Vgl. H. Koch, Cyprian und der römische Primat, 1910, 77ff.
2 „Den Austausch der christlichen Schriften in der Kirche seit dem
1 tzten Viertel des 2. Jahrhunderts kann man sich nicht lebhaft genug denken.“
Harnack, Lehrb. der Dogmengeschichte4 I, 352. Vgl. seine Missionsgeschichte2
I, 31 Off. (3. Aufl. I, 352ff.).