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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0107
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Studien zur Spätscholastik. I.

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des Stagiriten ausführlich dar1, um sie sogleich mit einer ganzen
Reihe von Erfahrungsbeweisen zu widerlegen: sie vermöge weder
zu erklären, warum auch rotierende Bewegungen nach Auf hören
des Anstoßes sich fortsetzen, noch warum die ganze Bewegung
nur von begrenzter Dauer ist; sie gerate in Widerspruch mit den
Erfahrungstatsachen, z. B. der, daß die Bewegung des geschleu-
derten Körpers viel weiterreicht als die nachweisbare Luftbewegung,
daß der Wind auf den Flug des Pfeiles kaum merkbaren Einfluß
hat usw.; auch das schon bei Albert von Sachsen vorkommende
Beispiel des Schleppkahns wird angeführt, der seine Bewegung
eine Weile gegen Strömung und Wind fortsetzt trotz Stockens
der Zugkraft2. Indem er demgegenüber die Theorie des impetus
entwickelt, bieten seine Ausführungen im Vergleich mit Albert
von Sachsen zunächst nicht viel Neues und Eigenes. Die Unter-
scheidung zwischen „natürlichem“ impetus (beim fallenden Körper)
und „gewaltsamem“ (beim aufwärts geworfenen) wird in der
üblichen Weise vorgetragen, das Gegeneinanderwirken von Schwere
und Schwungkraft im aufwärts gerichteten Wurf eines schweren
Körpers für jeden Augenblick der Bewegung und für die zwischen
Auf und Ab liegende Ruhepause zahlenmäßig berechnet, ähnlich
das Gegeneinander aufprallender und reflektierender Kräfte beim
Aufschlagen des Balles auf den Erdboden oder an die Wand, wobei
die Zusammenpressung des reflektierenden Widerstandes dem im-
petus des Balles einen zweiten impetus entgegensetzt3. Überhaupt
erfährt die reflektierende Bewegung eine sorgfältige Betrachtung.
Dabei benutzt Marsilius eine ihm eigene Theorie von der sukzes-
siven Verteilung des impetus. Dieser verbreitet sich nämlich erst
nach und nach auf die verschiedenen Teile des bewegten Körpers;
sonach ist es nötig, daß die ursprünglich treibende Kraft einige
Zeit auf diesen Körper unmittelbar einwirkt4, um ihm die Schwung-
kraft mitzuteilen, und es erklärt sich, daß der vom Boden reflek-
tierte Ball einen Augenblick zwischen Auftreffen und Zurück-
springen ruht — so lange nämlich, als der noch abwärts drängende
1 1. c. Bl. 78, c.
2 1. c. Bl. 80.
3 1. c. Bl. 75v— 76. Doch bleibt nach Bl. 80v der impetus des Balles
während der Vor- und Rückbewegung derselbe. Nach Duhem II, 213 scheinen
gerade diese Ausführungen unmittelbar auf Lionardo da Vinci eingewirkt
zu haben.
4 1. c. Bl. 76, a: Impetus non subito, sed successioe generatur in proiectum
ideo oportet proiciens per aliquid tem.pus esse simul cum proiecto.
 
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