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VI. Sein als Erkenntnisprädikat, als Denkprädikat u. als Copula. 135
als ,,unsinnlich geltend seiend“ prädiziert, diesem Gegenstände
schon andere, inhaltlich bestimmte, oder wie wir sagen, „sekun-
däre“ Prädikate beilegen ? Ist das nicht vielmehr erst dann mög-
lich, wenn schon das erste Prädikat differenziert ist, also
nicht nur „sein überhaupt“, sondern entweder sinnlich wirklich
sein, oder geltend sein usw. bedeutet ?
Ein logisch geschärfter Blick auf die faktisch vorliegenden
gegenständlichen Erkenntnisse der Wissenschaften wird uns sicher
geneigt machen, diese entscheidende Frage zu bejahen. Enthält
dann aber nicht das allgemeinste Sein ohne nähere Bestimmung,
falls es Urprädikat für eine gegenständliche Erkenntnis sein soll,
in jedem besonderen Fall noch zu wenig?
Falls man sich scheut, die Frage in dieser Gestalt ohne weiteres
endgültig zu bejahen, kann man nur ein Bedenken dagegen geltend
machen. Es gibt Sätze, in denen das Prädikat „sein“ ohne jeden
Zusatz vorkommt und dann trotzdem für eine gegenständliche
Erkenntnis völlig genügt. Ja, wir können unter Umständen uns
ein sozusagen „nachdrücklicheres“ Erkenntnis-Prädikat als „Sein“
gar nicht denken. Es sagt mehr als „Sein“ mit einem Zusatz, wie
„sinnlich wirklich“, „unsinnlich geltend“ usw.
Wir wollen, um das plausibel zu machen, absichtlich nicht nur
an wissenschaftliche Sätze denken, sondern auch an den allgemeinen
Sprachgebrauch, wie er z. B. in bekannten Worten Tassos bei
Goethe sich findet. Tasso sagt dort von seinen dichterischen Ge-
stalten: „Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind“. Das ver-
stehen wir sofort als „gegenständliche Erkenntnis“. Genauer: die
Begründung des Ewig-Seins durch den Satz „sie sind“ scheint ganz
in der Ordnung, denn der Satz „sie sind“ enthält, sobald wir über-
haupt nach dem theoretischen Sinn des Satzes fragen, den Tasso
meint, gewiß Erkenntnis über einen Gegenstand in der Welt. Findet
sich aber darin nicht ausschließlich das allgemeine Prädikat „Sein“ ?
Ein Zusatz, wie z. B. sinnlich wirklich, würde uns hier sogar stören.
Wir können nicht sagen: sie sind ewig, denn sie sind sinnlich wirk-
lich, und wenn wir statt dessen unsinnlich geltend sagten, wäre der
Sinn des Satzes von Tasso nicht mehr derselbe. Erscheint hier
also „Sein“ nicht als volles Urprädikat, das eine Ergänzung
nicht braucht, ja nicht verträgt, also als das eigentliche Ur-
prädikat ?
Wir dürfen uns gerade hier auf den Sprachgebrauch nicht ver-
lassen. Er kann uns täuschen. Das Wort „sein“ ist vieldeutig.
 
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