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Zweiter ontologischer Teil.

Erkennen auch Anschauung braucht, eine Wahrheit, die als Teil-
Wahrheit im Grunde genommen eine Trivialität ist, aber darum
gewiß nicht aufhört, wahr zu sein, obwohl sie nur die eine Seite
der Erkenntnis berücksichtigt, von dieser Teilwahrheit „lebt“ meist
der Intuitionismus, d. h. ihr vor allem verdankt er die Zugkraft,
durch welche er die Geister in seinen Bann zieht. Besonders in
Zeiten des Übergangs und der Unsicherheit, in der die alten logi-
schen „Konstruktionen“ der Wissenschaft ins Wanken gekommen
und neue noch nicht anerkannt sind, kann deshalb der Intuitionis-
mus immer auf Beifall in den Kreisen der Spezialforscher rechnen.
Es scheint ihnen so durchaus überzeugend, daß, wer Neues in der
Wissenschaft finden will, zunächst einmal „schauen“ muß, was
ihm gegeben ist, und für die meisten Teilwissenschaften läßt sich
dieser Satz in der Tat nicht bezweifeln.
Kurz, die Einzelforscher werden sich, solange sie Einzel-
forscher bleiben, d. h. sich auf einen Teil des Seienden beim Er-
kennen beschränken, ausschließlich an die anschaulichen Fak-
toren in ihren wahren Sinngebilden zu halten glauben, und sie
dürfen, ohne daß dadurch ihre Ergebnisse an spezialwissenschaft-
licher Bedeutung einbüßen, es ohne Bedenken ignorieren, daß in
jeder gegenständlichen Erkenntnis außerdem noch andere als inhalt-
liche oder anschauliche Momente stecken. In unserer Formulierung
gesagt: sie fragen als Einzelforscher nur nach dem, was
etwas ist, und lassen das „Sein“ selbst, oder die Frage, was etwas
ist, auf sich beruhen. Darin finden sie kein Problem, das sie zu
lösen hätten, und da sie insofern durchaus im Becht sind, be-
greifen wir von hier aus auch sehr gut, weshalb die Einzelwissen-
schaften ohne eine erkenntnistheoretische Grundlage, die sie über
das Wesen ihrer wissenschaftlichen Wahrheit, besonders über die
unentbehrlichen Erkenntnisformen aufklärt, in der Regel leicht
auskommen.
In einer prinzipiell anderen Lage dagegen befindet sich nicht
allein der Logiker, der das Wesen der Erkenntnis untersucht,
sondern auch jeder Forscher, der sich nicht auf besondere Teile
der Welt beschränkt und dabei eine besondere Art ihres Seins als
„selbstverständlich“ voraussetzt. Vor allem aber kann der Onto-
loge, der die Frage nach dem „Sein der Welt“ oder nach dem
Seienden überhaupt stellt, gerade das Sein in der Frage: was
etwas ist, nie auf sich beruhen lassen. Er will sich ja als Onto-
loge nicht auf die Gegenstände beschränken, hei denen es sich
 
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