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Zweiter ontologischer Teil.

Jichern, Wahrnehmbarem und Verstellbarem doch auch einen
„Grund“ im „Sein der Welt“ haben. Dem Problem, das so ent-
steht, vermag kein Ontologe sich zu entziehen.
Denselben Gedanken kann man noch anders ausdrücken: wenn
das Ich-Subjekt in der Welt des sinnlich real Seienden Verände-
rungen bewirkt, bei denen es durch das Verständnis unsinnlicher
Gebilde geleitet wird, wie das auch jeder Forscher tut, der die
von ihm verstandenen Wahrheiten durch die Sprache kund gibt,
dann hat das Ich, populär gesprochen, so etwas wie „Freiheit“,
und zwar nicht nur moralische Freiheit als Autonomie oder als
Selbstbestimmung, sondern eine Freiheit, die zugleich „ontologi-
sche“ Freiheit ist, d. h. in den „Gegenständen“ oder in dem Sein
der „Welt“ wurzelt. Eine solche Freiheit aber läßt sich weder in
dem sinnlich wirklichen, wahrnehmbaren, noch in dem unsinnlich
verstellbaren Gebiet des Seienden als gegenständlich seiend unter-
bringen. In der Sinnenwelt herrscht unbedingt die Kausalität.
Dort gibt es nichts, was als ontologisch „frei“ zu prädizieren wäre.
In der unsinnlich verstellbaren Welt aber sind wir zwar von der
Kausalität „frei“, aber in ihr gibt es keine Freiheit zum Wirken,
das dem Verstehen entspricht. Muß also nicht Freiheit als Fähig-
keit des Ich, eine Kausalkette von sich aus anzufangen, ohne selbst
nur bewirktes Glied einer solchen Kette zu sein, angenommen
und in ein Reich des „wirklich“ Seienden verlegt werden, das
weder nur sinnlich wahrnehmbar noch nur unsinnlich verstellbar
ist, dem vielmehr das Prädikat „übersinnlich wirklich“ zukommt,
und das zugleich beide im Diesseits notwendig getrennten Gebiete
zu einer jenseitigen Einheit zusammenfügt ?
Auch hierin steckt zum mindesten ein Problem, das wir nicht
einfach abweisen dürfen, und dies Problem treibt uns dann eben-
falls dazu, zu fragen, ob wir nicht gezwungen sind, über den im
Diesseits unvermeidlichen Dualismus des Wahrnehmbaren und des
Verstehbaren oder des Sensiblen und des Intelligiblen hinaus zu
einem Prädikat (xaTTjyopoufxsvov) zu greifen, dessen Subjekte (utto-
xslgsva) nur im Jenseits liegen können, falls man ihnen überhaupt
durch Prädizierung eine Sphäre des „Seins“ anweisen will. Kurz,
es läßt sich nicht leugnen: das metaphysische Problem des Jen-
seits erscheint aus rein theoretischen Gründen für jeden, der das
Sein der Welt im Ganzen zum Problem macht und dabei wahr-
nehmbares mit verstellbarem Sein, die im Diesseits zu trennen sind,
wieder verbinden will, als unvermeidliche wissenschaftliche Frage.
Das ist die eine Seite der Sache.
 
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