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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0030
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30

Martin Dibelius:

zurückgeführt werden. Aber das geschieht nun nicht in der Weise,
die wir aus dem rabbinischen Midrasch kennen: indem gesagt wird,
daß Gott der Sara bei der Hervorbringung des Verheißenen hilft.
Vielmehr vollzieht sich das Wunder dadurch, daß der göttliche
Geist eingreift: Isaak ist aus Sara (έκ τής έλευΕέρας Gal. 4,23) „auf
geistliche Weise“ erzeugt. Wenn diese Erzeugung im Gegensatz zu
der „natürlichen Weise“ der Erzeugung Isaaks behauptet wird, so
tritt die physische Beteiligung Abrahams völlig zurück. In welchem
Grade, ergibt sich aus dem Zitat, Jes. 54, 1, das Paulus hier ein-
flicht, die Situation der beiden Mutter und ihrer Nachkommen-
schaft zu erhellen:
Freue Dich, Unfruchtbare, die nicht gebiert,
brich aus in Jubel, die Wehen nicht kennt,
denn mehr der Kinder hat die Einsame
als jene, die den Mann besitzt.
Diesen Spruch, ursprünglich gemünzt auf Zion, hat Paulus auf
Sara und Hagar bezogen: die große Kinderzahl der „Einsamen“ —
das ist nach Gal. 4, 24 die „geistliche“ Kinderschar Abrahams;
das sind die Christen, genau so „geistlich“ erzeugt wie Isaak* 1.
Dann ist also Sara nicht die, „die den Mann hat“, sondern die Ein-
same, der Isaak κατά πνεύμα zuteil geworden ist. Und damit ist
die physische Vaterschaft Abrahams nahezu geleugnet. Natürlich
gilt das, nach der Weise einer solchen Exegese, nur für diese Stelle;
natürlich hat Paulus anderen Orts (Röm. 4, 18—21) von Isaak als
Abrahamssohn gesprochen. Nach Gal. 4 aber besitzt Sara den
Mann nicht, und Isaak ist auf andere, nämlich auf die Weise des
Geistes, erzeugt. Das Wunder besteht also hier nicht, wie im rabbi-
nischen Midrasch, in der wunderhaften Ermöglichung des natür-
lichen Verlaufs, sondern vielmehr in seiner Bestreitung, und in der
Verlegung des ganzen Vollzugs auf eine andere Ebene, die durch
κατά πνεύμα charakterisiert wird.
Hier zeigt sich eine Theologie, die man als hellenistisch-jüdisch
zu bezeichnen hat. Es kommt nicht darauf an, daß Paulus den
Isaak sonst als Abrahams Sohn bezeichnet; sondern darauf, daß
setzt. Denn auch im letzteren Fall ist das πνεύμα als Schöpfer und nicht als
Geburtshelfer gedacht. Das Wunderbare an der Geburt liegt ja in der Erzeu-
gung.
1 Gal. 4, 28 zieht Paulus die Folgerung aus dem Zitat zum Beweis der
4, 26 ausgesprochenen These, Sara sei μήτηρ ήμών: υμείς δέ, άδελφοί, κατά Ισαάκ
επαγγελίας τέκνα έστέ.
 
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