Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0050
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
50

Martin Dibelius:

Noch deutlicher wäre eine Ode Salomos, wenn Gressmanns Re-
konstruktion (bei Hennecke, Neutest. Apokryphen2 455) richtig
sein sollte: sie „gebar einen Söhn ohne Schmerzen, weil es sonst
nicht geziemend gewesen wäre“ (Od. Sal. 19, 8).
In der Tat sind die Erzähler nun bemüht, die Geburt Jesu so
zu erzählen, daß der das Ganze leitenden Vorstellung von der Jung-
frauengeburt Genüge geschieht: virgo concipies, virgo paries, virgo
nutries — wie es später ein lateinisches Marienbuch ausdrückt,
dessen Erzählung maßgebend für die mittelalterliche Marienlegende
werden sollte1. Die deutlichste alte Ausführung dieser Tendenz
findet sich in dem erwähnten Protevangelium Jacobi. Nach der
Jugendgeschichte der Maria wird die Verkündigung im Anschluß
an die biblischen Worte des Engels berichtet; lediglich die Variante
,,Du wirst raus seinem Worte’ empfangen“ verrät ein aufkeimendes
Interesse an dem Vollzug des Wunders (11, 22). In der Fortsetzung
ist bemerkenswert, daß an die Stelle des nicht konkreten Satzes
aus Mt. 1, 18 ευρέθ-η έν γαστρί εχουσα έκ πνεύματος άγιου die echt
legendäre Erzählung getreten ist: Joseph kommt von längerer Reise
nach Haus und findet das ihm anvertraute Mädchen im sechsten
Monat der Schwangerschaft. Da beginnt er in Klagen auszubrechen,
aber Maria kann ihm keine Auskunft geben (Ps.-Jakobus 13). Nun
erst erfolgt die Belehrung Josephs durch den Engel wie bei Mat-
thäus. Völlig neugestaltet ist aber die Geburtserzählung. DerCensus
und die Reise nach Bethlehem werden ähnlich wie bei Lukas erzählt.
Aber was nun folgt, zeigt einen geradezu erstaunlichen Reichtum
an synkretistischen Motiven. Maria wird vor Bethlehem von der
Geburt überrascht, wird von Josef in eine Höhle geführt3 und
kommt ohne fremde Hilfe, unter Wolken- und Lichterscheinungen,
nieder. Josef ist unterdessen gegangen, eine Hebamme zu suchen
und erlebt dabei, wie die ganze Welt durch einen Stillstand alles
Lebens dem großen Augenblick der Heilandsgeburt sein Recht gibt;
1 De nativitate Mariae 9, 4 siehe Tisciiendorf, Evangelia apocrypha
S. XXXI und 120.
2 Diese Formulierung καί συλλήψη έκ λόγου αύτοϋ soll wohl einfach das
Motiv der göttlichen Zeugung bereits bei der ersten Ankündigung der Geburt
zum Ausdruck bringen, also da, wo es an der entsprechenden Stelle der bibli-
schen Legende (Lk. 1, 31) fehlt. Darum wird λόγος wohl mit Walter Baver
(Leben .Tesu im Zeitalter der neutest. Apokryphen 49L) auf das schöpferische
Wort Gottes zu beziehen sein und nicht auf den Logos im Sinn der Theologie.
3 Die Tradition von Jesu Geburt in einer Höhle wird weiter unten in
Kap. VIII untersucht.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften