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LXXI.
Hier folgt eine kurze Auslegung und Beleh-
rung über das heilige Vaterunser, gepredigt
von dem hochwürdigen Herrn und Vater,
dem Herrn Kardinal von Kues, Bischof zu
Brixen, in der löblichen Stadt Wien auf
St. Stephans Friedhof, Fasching 1451.
1. Zuerst soll von dem heiligen Vaterunser als dem Gebet ge-
sprochen werden, das der allerhöchste Meister, unser lieber Herr
Jesus Christus, seine lieben Jünger gelehrt und uns als Regel, wie
und worum wir bitten sollen, hinterlassen hat. Es umfaßt so tiefe
Worte, daß alle Lehrer, die je gelebt haben oder jemals geboren
werden, ihren Sinn nicht ganz ausdeuten können. Und sogar seine
Jünger, die heiligen Apostel, hörten auch nur menschliche Worte
und meinten, er sei nur ein sehr weiser Mensch und erkannten da-
mals seine göttliche Natur und die Bedeutung, die in seinen Worten
beschlossen war, noch nicht.
2. Man sagt von dem Sentenzenbuch, daß alle Schulen und
Lehrer es für das beste Buch halten, und mit Recht. Aber das
Vaterunser enthält tausendmal mehr. Befragt man seinen An-
fang, so sagt es, wovon alle Dinge ihren Anfang nehmen und ihr
Sein haben; befragt man seine Fortsetzung, so sagt es, wie alle
Dinge von einem und demselben Sein ausgehen, und weiter, wohin
alle Dinge wieder gelangen sollen. Das alles enthält das Vater-
unser und außerdem alles, dessen wir bedürfen und wonach wir
verlangen können.
3. Daß das wahr ist, hat der Herr Jesus Christus mit der Lehre
bewiesen, daß es hier kein Bleiben gibt noch geben kann, und daß
SAN US hat es, wie die häufigen Anspielungen in seinen Predigten zeigen,
gründlich studiert. Sein Urteil, daß ,,alle Schulen und Lehrer“ dies Werk für
das beste Buch halten, stützt sich wohl vor allem auf die Tatsache, daß es so
viele Kommentare hervorgerufen hat. Von hier aus wird auch der Vergleich mit
dem Vaterunser, das CUSANUS auslegen will, verständlich.
20—25. Vgl. Sermo 18 n. 3, S. 26, 14ff. — Nur scheinbar haben wir in
der vorliegenden Predigt eine Dreiteilung [Anfang, Ausfluß, Rückfluß). Das,, Mittel
des Rückflusses“ ist wenigstens angedeutet in Z. 24f. 27. Vgl. Hebr. 13, 14.
7 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil. -hist. Kl. 1938/39. 4 Abb.
 
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