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190 J. Koch und H. Teske Cusanus-Texte: I. Predigten, 6.
wunderlich, daß Marcellus bereits 1459 zum Prior der Kartause
Thorberg bei Bern berufen wurde; zehn Jahre später sollte er das
gleiche Amt in Mainz bekleiden. Nach wenigen Wochen wurde er
aber schon als Visitator nach Italien geschickt; am 8. Oktober
1469 starb er in der Kartause von-Neapel.
Die Mainzer Stadtbibliothek besitzt in ihren interessanten,
leider vielfach demolierten Kartäuserbeständen auch eine ganze
Anzahl von Schriften und Predigten des Marcellus, die sowohl
aus seiner Heidelberger wie aus seiner Mainzer Zeit stammen* 1.
Eine eingehendere Beschäftigung mit ihnen würde sich sicher
lohnen, da sie einen lebendigen Einblick in den Heidelberger Lehr-
und Lernbetrieb um die Mitte des 15. Jahrhunderts gewähren und
zugleich zeigen, welche wissenschaftlichen und religiösen Anre-
gungen Marcellus seinen Mitbrüdern im Orden vermittelte. Vor
allem lernten sie durch ihn Schriften und Gedanken des Cusanus
kennen2. Als Novize kopierte er selbst ,,De quaerendo Deum“, ,,De
novicij de sancto Thoma, cuius thema est: dominus meus et deus meus“.
In derselben Hs. finden sich Opuscula des Kartäusers, die zum Teil wohl auf
Vorträge (Gollationes) vor dem Konvent zurückgehen. In einem von ihnen
steht (f. 189 v) die Bemerkung, er wundere sich, daß seine Mitbrüder ihn hören
wollten, obwohl er ihr noch nicht voll unterrichteter Schüler sei.
1 Die Zusammenstellung bei Schreiber a. a.O. S. 64 ist unvollständig.
Ohne behaupten zu wollen, daß die nachstehende Liste lückenlos ist, lassen
sich bisher folgende Schriften nachweisen: a) Schriften aus der Heidel-
berger Zeit: 541 enthält Vorlesungen, Disputationen und Reden; 560 ,,De
natura universali“ (nicht datiert; Kopie); 161 „De bonis et malis angelis“
(1451); 163 Auslegung des Evangeliums "Missus est’ (1450). b) Schriften aus
der Mainzer (und Thorberger?) Zeit: 13 Predigten (kopiert in II 271);
161 Predigt; 173 Predigten und „De modo praedicandi“; 175 Gebete zur
Vorbereitung auf den Kommunionempfang; 149 Predigt und Opuscula (Ko-
pie) ; 542 Psalmenerklärung.
2 In dieser Hinsicht verdient die kleine Schrift „Quaestio quomodo
sequitur: Omnia per ipsum, ergo ipsum in Omnibus, cum nec pater in filio
nec artifex in domo“ (Hs. 149, f. 172r—173r) besondere Beachtung. M. Geist
erläutert und verteidigt hier einen Grundgedanken der „Docta Ignorantia“
(vgl. I c. 2, p. 7, 8—11), freilich ohne Cusanus zu nennen. Insofern könnte
man zunächst denken, der Verfasser erläutere das genannte Prinzip ganz all-
gemein, ohne an die Ausführungen eines bestimmten Denkers anzuknüpfen.
Daß es sich nun wirklich um Cusanus handelt, ergibt sich aus f. 173r; hier
sind eine ganze Anzahl von Beispielen übersichtlich zusammengestellt: „Uni-
tas est in numero, quadratus in radice, cubicus in quadrato“ usw. In der
daneben stehenden Erklärung finden sich die folgenden aufschlußreichen
Sätze: „Hijs et alijs mille maximis, que a nullo inviciari(l) in quacumque
arte possent, explicatur et ostenditur veritas predicte dignitatis, que licet
 
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