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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0195
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Zweites Kapitel: Literarhistorische Untersuchung. §2.

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geistlichen Leben. Die Vaterunser-Auslegung, die in die Abhand-
lung über das Gebet der Psalmen eingefügt ist (207r—208v), be-
ginnt er mit der letzten Bitte, um so den Fortschritt im religiösen
Leben an Hand des Vaterunsers und der Psalmen darzulegen.
Nimmt man nun diese verschiedenen Momente zusammen, so
dürfte es höchst wahrscheinlich sein, daß Marcellus Geist selbst
der Verfasser der lateinischen Übersetzung ist. Freilich fragt man
sich dann: wie konnte diese Übersetzung so schlecht ausfallen ?
Wenn ich recht sehe, läßt sich das aus zwei Gründen erklären.
Der erste und Hauptgrund ist die Methode, die der Übersetzer
befolgte: da er anscheinend nicht gewohnt war, einen deutschen
Text ins Lateinische zu übersetzen, dachte er die Sache dadurch
zu erleichtern, daß er zuerst eine Übersetzung der einzelnen Worte
anfertigte, um diese dann in eine sinngemäße umzuarbeiten. Gleich-
zeitig hoffte er, damit eine möglichst exakte Übersetzung liefern
zu können. Der zweite Grund ist der, daß Marcellus sich den
deutschen Text diktieren ließ1. Nur so erklärt es sich, daß an
einer ganzen Anzahl von Stellen zuerst der deutsche Text hin-
geschrieben, wieder durchgestrichen und dann der lateinische da-
neben oder drüber gesetzt ist. Für die Übersetzung hatte das
Diktat aber die böse Folge, daß der Schreiber manches verhörte
und darum so merkwürdige Fehler machte2.
Nun möchte man natürlich gern die zweite, sinngemäße Über-
setzung kennen lernen. Denn daß sie angefertigt worden ist, daran
dürfte auf Grund der oben angeführten Bemerkung in der Abhand-
lung über das Gebet nicht zu zweifeln sein. Mit der 'wortgetreuen’
Übersetzung, die uns bisher vorliegt, konnte keiner der Mitbrüder,
zu deren Nutzen Marcellus arbeiten wollte, etwas anfangen. Nun
habe ich alle Hss. der Mainzer Stadtbibliothek, die nach dem
Katalog eine Vaterunser-Erklärung enthalten3, durchgesehen; leider
1 So dürfte, wenigstens nach meiner Meinung, der Satz zu verstehen
sein: ,,nec plus nec minus quam dictatori placuit quolibet modo vel au-
feram vel apponam“ (s. oben S. 138, 27).
2 Es ist wohl auch nicht zu übersehen, daß Marcellus auf seine Arbeit
keine besondere Sorgfalt verwendet hat. So ist das einleitende Gebet zu-
nächst ausdrücklich an Gott Vater gerichtet, um dann unmerklich zu einem
Gebet an Jesus Christus zu werden (s. oben S. 138, lOff.). Der Übersetzer hat
m. E. seine Niederschrift als vorläufigen und für den eigenen Gebrauch allein
bestimmten Entwurf betrachtet.
3 Es handelt sich um die Hss. 54, 136,192, 215b, 237, 300; II 91 und 171.
Ausdrücklich sei auch vermerkt, daß die in Hs. 321 stehende „Expositio s.
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