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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0232
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232

J. Koch und H. Teske Cusanus-Texte: I. Predigten, 6.

sich, philosophisch gesehen, um Symbole oder um Appropriationen
nach der Sprache der Theologie handelt. Demgegenüber betont er
S. 86, 8, daß Gott das Gute ist und davon seinen Namen hat.
Hier sind wir, soweit philosophische Überlegungen in Frage kom-
men, nicht mehr im Neuplatonismus, sondern bei Plato selbst.
Im Sinne des konsequenten Neuplatonismus besagt die Idee des
Rückflusses ja gerade, daß die Vielheit des Gewordenen wieder in
der absoluten Einheit aufgeht. Man denke nur — um ein Beispiel
aus dem christlichen Neuplatonismus zu wählen — wie sehr Meister
Eckhart1 betont, daß die Seele erst dann in die Seligkeit einge-
gangen ist, wenn sie bis zur Ununterschiedenheit mit der Gott-
heit geeint ist. Davon findet sich auch nicht die Spur bei Cusanus.
Es ist nun sehr interessant, wie Cusanus allmählich von der
Idee der Einheit zu der des höchsten Gutes hinlenkt. Die erste
Andeutung, daß mit der Einheit nicht alles gesagt ist, findet sich
in n. 10. Wenn Gott auch, so führt er hier aus, das Sein aller Dinge
ist und in jedem einzelnen wie in allen und in keinem gesondert
ist, so haben die vernünftigen Geschöpfe doch einen großen Vor-
zug: sie vermögen Gott zu erkennen, und darum ist er vorzüglich
,,in den hymelen der oherften verftentenis“ (S. 34, 2). Auf welche
Weise wir nun allein Gott in der rechten Weise erkennen können,
legt Cusanus bei Art. 2 dar. Das Ergebnis der Erkenntnis Gottes
in seinem Namen ist die Einsicht, „daß Gott allein das begeh-
renswerteste und oberste Gut ist“. Hieraus folgt dann die
weitere Erkenntnis, „daß Gott das Reich aller Wonne ist, die
Liebe alles Liebenswerten“ usw. (n. 15, S. 40, 17ff.). Wenn auch
natürlich jede Polemik gegen die Einheits-Spekulation des Neu-
platonismus fehlt, so ist doch die unterschiedliche Haltung des
Cusanus klar. Das Ende des ganzen Weltgeschehens ist nicht der
Rückfluß aller Vielheit in eine ungeschiedene Einheit, sondern die
Teilnahme am Reich Gottes, an der „Gemeinschaft der Liebe und
des Friedens“ (n. 18, S. 46, 13). Durch die Sünde hat der Mensch
sich von dieser Gemeinschaft losgesagt; nun kann er „nur in Chri-
stus Jesus, in dem alle unsere Gebrechen geheilt sind, zu dem
ewigen unvergänglichen Besitz oder zur Ergreifung des obersten
Gutes kommen“ (n. 27, S. 60, 4ff.). In den folgenden Artikeln
1 Vgl. Meister Eckhart, Die deutschen Werke I, Pr. 6, S. 110, 8ff.;
113, 7ff.; 12, S. 193, 3ff.; 194, 6ff.; 14, S. 239, 4ff.; 15, S. 245, 5ff. Buch
der göttlichen Tröstung, hrsg. von Ph. Strauch, 21922, S. 19, 18ff.; 20, 26ff.
und öfters.
 
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