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J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.

gereinigt werden (n. 37, S. 76, 14ff.). Bei den letzten drei Artikeln
läßt sich Natur als Hilfsbegriff nicht mehr verwerten, da das Gebot
der Liebe, die Bewahrung in der Gnade und die endgültige Befrei-
ung von allem Übel die Person, nicht die Natur des Menschen
angeht.
Der zweite spekulative Grundbegriff ist Leben. Um die Funk-
tion, die er in der Theologie der Auslegung hat, klar zu erfassen,
bedarf es einer kurzen terminologischen Erörterung. Das Wort
leben ist in ganz charakteristischer Weise über das ganze Werk
verteilt: über 30mal findet es sich in der Auslegung der Brotbitte;
vorher 5 und nachher 8mal. Man kann folgende Bedeutungen
feststellen:
a) Leben im natürlichen Sinn des Wortes: bewegelich l. 32, 12;
jinlich l. der Tiere 32, 11; der Menschen 56, 2; 64, 18; l. des Lei-
bes 44, 7; 62, 5. 19; l. der Seele 44,7; 62,8. Von dem konkreten
menschlichen Leben ist 70, 6; 84, 19; 86, 7. 17. 19. 24 die Bede.
b) Lebenswandel, synonym mit wandelung, wie sich aus 72, 9ff.
und 14f. ergibt.
c) Leben im Vollsinn des Wortes, d. h. über den Tod und alle
Gebrechlichkeit erhabenes Leben. Leben in diesem Sinn kommt
allein Gott zu, und darum auch Christus, insofern er Gott ist
(n. 24, S. 54, 17ff.; n. 25, S. 58, 4ff.). Wie er der wech, die wair-
heit vnd das leben ist (72, 7; vgl. Joh. 14, 6), so ist er auch die
Jpife des lebens (54, 17; 58, 1. 2. 3. 19; 62, 3) oder das broet des
lebens (58, 17; vgl. Joh. 6, 35 ff.). Das bedeutet nichts anderes,
als daß der Mensch durch ihn — und zwar ihn allein — an dem
über Tod und Gebrechlichkeit erhabenen Leben teilhaben kann
(n. 25, S. 56, Uff.; n. 27, S. 60, 7ff.). Er muß mit Christus ver-
einigt sein; das Mittel der Vereinigung ist der Glaube (n. 25,
S. 58, lff.; n. 26, S. 58, 14ff.). Hier ist der Punkt, wo die Begriffe
Natur und Lehen in dem gedanklichen Gerüst der Auslegung Zu-
sammentreffen. Christus kann unser Lebensbrot werden, weil un-
sere himmlische Natur nach der Wahrheit als der einzigen ihr
gemäßen Speise verlangt. Christus ist aber als der Sohn Gottes
Wahrheit und Weisheit in einem. Er wird aber nur dann unser
Lebensbrot, d. h. er läßt uns nur dann an seinem Leben teil-
nehmen, wenn wir ihn durch den Glauben in das Innerste unseres
Lebens aufnehmen (58, lff.). Denn der Glaube macht uns zu Glie-
dern seines Leibes, d. h. der Kirche (n. 29, S. 62, 19ff. 64, 6ff.);
sind wir aber seine Glieder, so haben wir auch an seinem Leben
 
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