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E. Wahle:
in ihrer schon einmal herangezogenen Dissertation1 die spät-la-tene-
zeitlichen Brandbestattungen im küstenfernen Mitteleuropa wahl-
los für germanisch anspricht und sogar den Versuch der räum-
lichen Festlegung des Kimbernzuges auf sie gründet. Wenn wir
heute trotz der oben angedeuteten Bedenken die Ostgermanen
archäologisch abgrenzen können, so deshalb, weil Kossinna, ent-
gegen dem Titel seines genannten Aufsatzes, sich nicht nur auf
die verzierten Eisenlanzenspitzen gründete, sondern eine ganze
Reihe von Einzelheiten zu einer Fundprovinz zusammenfügte.
Demgemäß bedeutet es eine sehr unerfreuliche Vergröberung seiner
Betrachtungsweise, wenn in einer durch die genannten Beispiele
gekennzeichneten Art die volkliche Deutung der Funde auf eine
so schmale Basis gegründet wird. Doch haben diese fortgesetzten
Mißgriffe wenigstens ein Gutes zur Folge; immer wieder begegnet
im Anschluß an sie die Frage, wie denn die eine Fundprovinz dar-
stellende Summe der Besonderheiten auszusehen habe. Die Theorie
verlangt die Einheitlichkeit der materiellen Hinterlassenschaft, die
am kennzeichnendsten in Gestalt der Grabbeigaben begegne; auch
der Bestattungsbrauch fällt regelmäßig mit in die Waagschale,
da er nicht zur ,,Handelsware“ gehört, während die Einzelheiten
des Siedelungswesens für gewöhnlich schon deshalb außer Betracht
bleiben, weil sie viel zu wenig bekannt sind. Aber auch das*übrige
Fundgut ist oftmals so dürftig, und der Grabritus mitunter so
wenig ausgeprägt, daß sich nicht immer wirkliche Eigentümlich-
keiten zu erkennen geben. Auch haben sowohl die Vermehrung
des Denkmälerbestandes wie der Ausbau der Quellenkritik eine
fortgesetzte Veränderung der Liste derjenigen Erscheinungen zur
Folge, welche als Besonderheiten einer bestimmten Zeit in einem
gewissen Gebiet anzusprechen sind, und welche nicht. Ferner aber
muß dasjenige, was in dem einen Beispiel als Besonderheit Gel-
tung hat, deshalb allein in einem anderen noch keineswegs mit in
die Waagschale fallen. Berücksichtigt man dies alles, dann ist die
durch eine ganze Reihe von Jahrzehnten laufende Beschäftigung
mit diesem Problem keineswegs nur eine Kette von Mißerfolgen;
mag sie auch sehr verschiedene Grade der kritischen Einstellung
zu erkennen geben, so bietet sie doch die Möglichkeit, an eine ganze
Reihe gesicherter Ergebnisse anzuknüpfen.
Daß hinter einem geschlossenen, auch der Art seines Vorkom-
mens nach einheitlichen Formenkreise ein nicht minder ausge-
1 S. ob. S. 6 Anm. 2.
E. Wahle:
in ihrer schon einmal herangezogenen Dissertation1 die spät-la-tene-
zeitlichen Brandbestattungen im küstenfernen Mitteleuropa wahl-
los für germanisch anspricht und sogar den Versuch der räum-
lichen Festlegung des Kimbernzuges auf sie gründet. Wenn wir
heute trotz der oben angedeuteten Bedenken die Ostgermanen
archäologisch abgrenzen können, so deshalb, weil Kossinna, ent-
gegen dem Titel seines genannten Aufsatzes, sich nicht nur auf
die verzierten Eisenlanzenspitzen gründete, sondern eine ganze
Reihe von Einzelheiten zu einer Fundprovinz zusammenfügte.
Demgemäß bedeutet es eine sehr unerfreuliche Vergröberung seiner
Betrachtungsweise, wenn in einer durch die genannten Beispiele
gekennzeichneten Art die volkliche Deutung der Funde auf eine
so schmale Basis gegründet wird. Doch haben diese fortgesetzten
Mißgriffe wenigstens ein Gutes zur Folge; immer wieder begegnet
im Anschluß an sie die Frage, wie denn die eine Fundprovinz dar-
stellende Summe der Besonderheiten auszusehen habe. Die Theorie
verlangt die Einheitlichkeit der materiellen Hinterlassenschaft, die
am kennzeichnendsten in Gestalt der Grabbeigaben begegne; auch
der Bestattungsbrauch fällt regelmäßig mit in die Waagschale,
da er nicht zur ,,Handelsware“ gehört, während die Einzelheiten
des Siedelungswesens für gewöhnlich schon deshalb außer Betracht
bleiben, weil sie viel zu wenig bekannt sind. Aber auch das*übrige
Fundgut ist oftmals so dürftig, und der Grabritus mitunter so
wenig ausgeprägt, daß sich nicht immer wirkliche Eigentümlich-
keiten zu erkennen geben. Auch haben sowohl die Vermehrung
des Denkmälerbestandes wie der Ausbau der Quellenkritik eine
fortgesetzte Veränderung der Liste derjenigen Erscheinungen zur
Folge, welche als Besonderheiten einer bestimmten Zeit in einem
gewissen Gebiet anzusprechen sind, und welche nicht. Ferner aber
muß dasjenige, was in dem einen Beispiel als Besonderheit Gel-
tung hat, deshalb allein in einem anderen noch keineswegs mit in
die Waagschale fallen. Berücksichtigt man dies alles, dann ist die
durch eine ganze Reihe von Jahrzehnten laufende Beschäftigung
mit diesem Problem keineswegs nur eine Kette von Mißerfolgen;
mag sie auch sehr verschiedene Grade der kritischen Einstellung
zu erkennen geben, so bietet sie doch die Möglichkeit, an eine ganze
Reihe gesicherter Ergebnisse anzuknüpfen.
Daß hinter einem geschlossenen, auch der Art seines Vorkom-
mens nach einheitlichen Formenkreise ein nicht minder ausge-
1 S. ob. S. 6 Anm. 2.