Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen
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deutschland begegnet, auf die Anwesenheit von Wikingern hin ?
Welche Siedelungen und Gräber des gleichen Gebietes, besonders
aber seines Küstenstreifens, dürfen als wikingisch angesprochen
werden und welche nicht ? Ortsnamen und Schriftquellen berichten
von nordgermanischer Einflußnahme auf diesen Raum und sogar
von gelegentlicher Siedelung in ihm; somit befremdet die Menge
des typisch skandinavischen oder skandinavisch gefärbten Gutes
keineswegs. Aber so eindeutig ein kleiner Teil dieses Stoffes, Gräber
und Siedelungen, von dem Leben der Wikinger in Ostdeutschland
zeugt, und die Menge der übrigen gleichzeitigen Funde mit Sicher-
heit den Slawen und Ostbalten zugeschrieben werden kann, so
zweifelhaft bleibt die volkliche Zuweisung bei einem Rest des Ma-
terials. Hier fehlt die scharfe Grenze nicht nur auf archäologischem
Gebiet; in wie verschiedenen Formen kann doch eine „Einfluß-
nahme“ vor sich gehen! Deshalb also ist uns hier die eindeutige
Scheidung versagt, weil wir einem lebendigen Vorgang gegenüber-
stehen. Diese wikingische Aktivität ruft archäologische Verhält-
nisse hervor, welche sich einer schematischen Deutung entziehen.
Genau dasselbe beobachtet man auch anderwärts, z. B. an der
Grenze des merowingischen Kulturkreises. Die ostdeutsche For-
schung hat vermittels der Gräberfelder des südwestlichen Ost-
preußen den Begriff der masurgermanischen Kultur herausgear-
beitet, der sich auf merowingisch anmutende kunstgewerbliche Lei-
stungen, also auf Fibeln, Beschläge und anderes gründet. Einer-
seits glaubt sie nun mit der Deutung dieses Befundes auf dem Wege
des Handels oder sonstiger Einflußnahme nicht auszukommen,
anderseits ist sie aber doch nicht in der Lage, ihre Vorstellung von
hier nachweisbaren germanischen „Zu- oder Rückwanderern“ wirk-
lich zu beweisen1. In einem weiteren Grenzgebiet der merowingisch-
karolingischen Welt gegen den Osten hin findet sich ein ganz ähn-
liches Beispiel2. Hier müssen bestimmte bayerische Gaue auf Grund
der Ortsnamen und Schriftquellen zeitweise eine slawische Besiede-
lung gehabt haben. Aber die hier begegnenden Körpergräberfelder
1 C. Engel und W. La Baume, Kulturen und Völker der Frühzeit im
Preußenlande (Erläuterungen zum Atlas der ost- und westpreußischen Landes-
geschichte, 1), 1937, 176ff. Auch die gleichermaßen gewunden wirkende Deu-
tung E. Petersens (Der ostelbische Raum als germanisches Kraftfeld im
Lichte der Bodenfunde des 6.-8. Jhd.s, 1939, 213f.) vermag wohl nicht zu
befriedigen.
2 Zuletzt behandelt von P. Reinecke, Der bayerische Vorgeschichts-
freund 7, 1927/28. 17—37, und Prähistorische Zeitschrift 19. 1928, 268—279.
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deutschland begegnet, auf die Anwesenheit von Wikingern hin ?
Welche Siedelungen und Gräber des gleichen Gebietes, besonders
aber seines Küstenstreifens, dürfen als wikingisch angesprochen
werden und welche nicht ? Ortsnamen und Schriftquellen berichten
von nordgermanischer Einflußnahme auf diesen Raum und sogar
von gelegentlicher Siedelung in ihm; somit befremdet die Menge
des typisch skandinavischen oder skandinavisch gefärbten Gutes
keineswegs. Aber so eindeutig ein kleiner Teil dieses Stoffes, Gräber
und Siedelungen, von dem Leben der Wikinger in Ostdeutschland
zeugt, und die Menge der übrigen gleichzeitigen Funde mit Sicher-
heit den Slawen und Ostbalten zugeschrieben werden kann, so
zweifelhaft bleibt die volkliche Zuweisung bei einem Rest des Ma-
terials. Hier fehlt die scharfe Grenze nicht nur auf archäologischem
Gebiet; in wie verschiedenen Formen kann doch eine „Einfluß-
nahme“ vor sich gehen! Deshalb also ist uns hier die eindeutige
Scheidung versagt, weil wir einem lebendigen Vorgang gegenüber-
stehen. Diese wikingische Aktivität ruft archäologische Verhält-
nisse hervor, welche sich einer schematischen Deutung entziehen.
Genau dasselbe beobachtet man auch anderwärts, z. B. an der
Grenze des merowingischen Kulturkreises. Die ostdeutsche For-
schung hat vermittels der Gräberfelder des südwestlichen Ost-
preußen den Begriff der masurgermanischen Kultur herausgear-
beitet, der sich auf merowingisch anmutende kunstgewerbliche Lei-
stungen, also auf Fibeln, Beschläge und anderes gründet. Einer-
seits glaubt sie nun mit der Deutung dieses Befundes auf dem Wege
des Handels oder sonstiger Einflußnahme nicht auszukommen,
anderseits ist sie aber doch nicht in der Lage, ihre Vorstellung von
hier nachweisbaren germanischen „Zu- oder Rückwanderern“ wirk-
lich zu beweisen1. In einem weiteren Grenzgebiet der merowingisch-
karolingischen Welt gegen den Osten hin findet sich ein ganz ähn-
liches Beispiel2. Hier müssen bestimmte bayerische Gaue auf Grund
der Ortsnamen und Schriftquellen zeitweise eine slawische Besiede-
lung gehabt haben. Aber die hier begegnenden Körpergräberfelder
1 C. Engel und W. La Baume, Kulturen und Völker der Frühzeit im
Preußenlande (Erläuterungen zum Atlas der ost- und westpreußischen Landes-
geschichte, 1), 1937, 176ff. Auch die gleichermaßen gewunden wirkende Deu-
tung E. Petersens (Der ostelbische Raum als germanisches Kraftfeld im
Lichte der Bodenfunde des 6.-8. Jhd.s, 1939, 213f.) vermag wohl nicht zu
befriedigen.
2 Zuletzt behandelt von P. Reinecke, Der bayerische Vorgeschichts-
freund 7, 1927/28. 17—37, und Prähistorische Zeitschrift 19. 1928, 268—279.