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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0109
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Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen 109

Die Funde sind für uns, so sagt er, ja „nicht die materielle und
geistige Kultur eines Volkes in ihrer vollen Gesamtheit, sondern die
stets einseitige, bisweilen ganz zufällige Auswahl“. Es gibt immer-
hin klarliegende Fälle, in denen der Kulturgegensatz einen ethni-
schen Unterschied veranschaulicht. Ist aber „das Material ärmer,
einseitiger oder weniger entwickelt, oder hat eine hochstehende
Kultur den Nachbarkulturen viele ihrer Züge verliehen, [dann]
kann man nur durch eine sorgfältige Analyse die Verschiedenheiten
heraussteilen, und diese können so gering sein, daß sie keine feste
Grundlage für die Entscheidung der Frage abgeben. In einem
solchen Fall fallen Kulturgrenze und Volksgrenze nicht zusammen.
Hierfür lassen sich unzählige Beispiele beibringen. Ich möchte
mich mit einem einzigen begnügen, aus meinem eigenen Land, und
aus jüngster Zeit: Die völkische Kultur in ganz Westfinnland bis
weit hinein nach Tavastland, ist so gleichartig, der Gegensatz zwi-
schen schwedischen und finnischen Gegenden so gering, nicht größer
als zwischen finnischen Landstrichen untereinander, daß man keine
Möglichkeit hätte, auf Grund der materiellen Kultur das Vor-
handensein zweier Nationalitäten zu erweisen, insbesondere nicht,
falls sie sozusagen auf ihre archäologischen Dimensionen reduziert
würde. Die Kulturgrenze führt hier durch das östliche Tavast-
land, weit hinein nach Österbotten, mitten in das finnische Finn-
land: bis dorthin ist die materielle Kultur von westlichen, schwedi-
schen Zügen stark beeinflußt worden“.
Wenn sich in den Jahrhunderten um Christi Geburt im ost-
deutschen Raum einige größere Kulturprovinzen abheben, die für
Bastarnen und Wandalen, Burgunden und Goten beansprucht wer-
den, dann wird man in ihnen allen nach dem Gesagten jeweils mü-
den Kultur- und Einflußbereich des betreffenden Stammes sehen
dürfen und nicht sein Siedelungsgebiet. Bedeutet dies auf den
ersten Blick hin vielleicht einen schmerzlichen Verzicht auf eine
hier des Einsatzes für wert erachtete und dort gar schon selbst-
verständlich gewordene Vorstellung, so fragt es sich anderseits
doch, ob nicht damit viel mehr noch gewonnen ist. Denn das
Bewußtsein, in den Funden die Kräfte des geschichtlichen Lebens
am Werke zu sehen, fördert das Verständnis der Vorgänge selbst
und macht den Blick frei für die individuelle Beurteilung des von
einem Fall zum anderen stets etwas verschiedenen tvpologischen
Bildes. Hier hat auch das besondere Beispiel der Sweben des
Ariovist seinen Platz, obwohl es sich insofern von den übrigen
 
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