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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0140
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140

E. Wahle:

Hellwald1 und Lewis H. Morgan2; Hellwald spricht sogar
von einer „natürlichen Entwicklung“ der Kulturgeschichte3. Wäh-
rend nun aber die Mehrzahl dieser Verfasser das Dreiperiodensystem
zur Grundlage ihrer Darstellung nimmt, baut Morgan vermittels
völkerkundlicher Beobachtungen auf dem Boden -Nordamerikas ein
eigenes Gerüst der Kulturentwicklung auf, das durch je drei Stufen
von Wildheit und Barbarei zur Zivilisation führt. „Man kann jetzt
auf Zeugnisse von überwältigender Kraft hin behaupten, daß die
Wildheit bei allen Stämmen der Menschheit der Barbarei voran-
ging, wie anerkanntermaßen die Barbarei ein Vorläufer der Zivili-
sation war“4. Noch wichtiger jedoch wie diese Feststellung ist in
unserem Zusammenhang hier Morgans Erkenntnis, daß „die Ge-
schichte des Menschengeschlechts überall die gleichen Anfänge, die
gleichen Erfahrungen, den gleichen Fortgang zeigt“5, daß also „die
Kultur der Menschheit überall ziemlich den gleichen Weg durch-
laufen hat, daß die menschlichen Bedürfnisse unter ähnlichen Be-
dingungen ziemlich dieselben gewesen sind, und daß die Wirkun-
gen der geistigen Tätigkeit kraft der Übereinstimmung des Gehirns
aller Menschenrassen gleichförmig gewesen sind“6. Lassen schon
Begründung und Ausbau des Dreiperiodensystems diejenige per-
sönliche Beziehung zu dem frühgeschichtlichen Menschen zurück-
treten, welche die romantische Prähistorie in erster Linie gesucht
hat, so setzt nun die Entseelung des Fundstoffes in vollem Um-
fange ein. Denn dieser vertritt jetzt nur noch ein ganz bestimmtes
Niveau der Gesittung, das in dem Bilde des naturgesetzlichen Auf-
stieges der Menschheit seinen festen Platz hat, mag man nun mit
den auf völkerkundlichem Wege ermittelten Stufen oder den ein-
zelnen Stadien der typologischen Entwicklung arbeiten. Damit
war der materialistischen Geschichtsauffassung der Weg geebnet,
und in der Tat griff Karl Marx sofort zu Morgans Buch, um
1 W. Baer und Fr. von Hellwald, Der Vorgeschichtliche Mensch.
Ursprung und Entwickelung des Menschengeschlechtes, 1874.
2 Ancient Society, or Researches in the Lines of Human Progress from
Savagery through Barbarism to Civilization. New York, 1878. Derselbe,
Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus
der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation. Deutsch von W. Eichoff
und K. Kautsky, 1891.
3 Kulturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart,
1876.
4 In der Vorrede der deutschen Übersetzung, XIII.
0 Ebenda. 6 Morgan, ebenda 7.
 
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