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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0142
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142

E. Wahle:

Einflüssen des rational-unhistorischen Denkens ausgesetzt sind.
Dies gilt von der Völkerkunde genau so wie von der klassischen
Archäologie, wobei aber noch bedacht werden muß, daß ihnen
beiden der gestaltende Mensch ungleich greifbarer ist als wie der
Prähistorie; die Ethnologen können ihn ja unmittelbar studieren,
und in der antiken Kunst spricht er nicht minder direkt zu dem
Beschauer. Aber die Völkerkunde mußte gleich der frühgeschicht-
lichen Forschung ihr besonderes Augenmerk der zeitlichen Abfolge
ihres Stoffes zuwenden, so daß neben die Auffassung Morgans noch
verschiedene andere Systeme getreten sind. Und die hieraus fol-
gernde Typologie der Gesittungen hat es dann mit sich gebracht,
daß man, um ein Wort Thurswalds zu gebrauchen, den Menschen
„vor lauter Gegenstandskunde vergessen“ hat1. Auch die klassi-
sche Archäologie schwebt ständig in der Gefahr, sich in der Grup-
pierung ihres Materials zu verlieren und damit mehr um der Alter-
tümer selbst willen als im Dienste einer geschichtlichen Frage-
stellung tätig zu sein. Doch haben hier die Anliegen der allgemeinen
Kunstwissenschaft wie auch die Anregungen der Althistoriker immer
wieder dafür gesorgt, daß der greifbare Nachlaß der Antike auf den
Boden einer geschichtlichen Wirklichkeit gestellt wird. In diesem
Zusammenhang gilt es, noch zweier deutlicher Übersteigerungen in
der typologischen Gliederung archäologischen Stoffes zu gedenken,
welche an den Grenzen des klassisch-archäologischen Arbeitsberei-
ches gegen den prähistorischen liegen. Die eine betrifft die minoi-
schen Schichten Kretas, die andere die ägyptischen Gräberfelder
aus der Zeit vor der ersten Dynastie. Wer in die von A. Evans
unterschiedenen 9 Stufen der Entwicklung tiefer eindringt, wird
sich sehr bald vor der Erkenntnis finden, daß hier ein mit ganz
verschiedenem Quellenwert ausgestattetes Fundmaterial in ein
chronologisches Schema gepreßt worden ist, daß also hier zugunsten
der typologischen Abfolge die Frage nach der besonderen geschicht-
lichen Aussage dieses sehr heterogenen Stoffes hat vernachlässigt
werden müssen. Den zweiten Versuch stellt die von Flinders
Petrie unternommene Staffeldatierung der Beigaben aus den alt-
ägyptischen Hockergräberfeldern dar. Zwar wird die Richtigkeit
dieser typologischen Abfolge von nicht weniger als 50 Entwick-
lungsstufen im ganzen anerkannt; aber es zeigt sich zugleich, daß
der praktischen Verwendbarkeit dieses Systems recht enge Grenzen
gezogen sind, daß also sein geschichtlicher Ertrag sehr gering ist,

1 Deutsche Literaturzeitung' 1937, 504.
 
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