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Eike Wolgast
4.
Während die Magdeburger Theorien in Deutschland Episode blieben,
wurden die konfessionellen Konflikte in England und Schottland und
der Bürgerkrieg in Frankreich zum Anlaß intensiver Erörterungen über
das Wesen der Staatsgewalt und ihre Grenzen sowie über die Pflichten
des Fürsten und die Rechte der ständischen Korporationen und der ein-
zelnen Untertanen. Beide Konfessionsparteien bemühten sich in diesen
Auseinandersetzungen, das eigene Verhalten durch theoretische Absi-
cherungen rechtlich unangreifbar zu machen und die Rechtmäßigkeit
ihrer Gewaltanwendung gegen den magistratus superior nachzuwei-
sen45. Obwohl die Religionsfrage die politischen Krisen auslöste und
der französische Bürgerkrieg jahrzehntelang wesentlich durch die reli-
giösen Grundsätze geprägt wurde, konzentrierten die protestantischen
Monarchomachen ihre Bemühungen vor allem auf eine Klärung der
Rechtsfrage, um hier eine vermeintlich objektive Grundlage zu gewin-
nen und von der Subjektivität der Glaubensüberzeugung als Unter-
scheidungsmerkmal und vor allem als Antrieb ihres politischen Han-
delns nach außen hin unabhängig zu werden46. Zu diesem Zweck stell-
ten sie dem gegenwärtigen Zustand des Staates, der durch Gewaltherr-
schaft und unrechtmäßige Neuerungen korrumpiert sei, die alte verfas-
sungsmäßige Ordnung gegenüber oder proklamierten eine akute Be-
drohung des überlieferten Rechtszustands durch den Fürsten, vor allem
im Fall der Glaubensverfolgung. Die Restitution der alten verfassungs-
mäßigen Ordnung bzw. die Bewahrung der bestehenden Rechtsverhält-
nisse, in denen die ständische Mitbestimmung die Willkür des Fürsten,
wie sie sich in der Glaubensverfolgung manifestierte, in Schranken hal-
45 Zu den Monarchomachen vgl. neben der immer noch brauchbaren Arbeit von R.
Treumann, Die Monarchomachen. Eine Darstellung der revolutionären Staatslehren
des XVI. Jahrhunderts (1573-1599) (Leipzig 1895) Wolzendorff (s.Anm. 5), 95ff.;
W. F. Church, Constitutional Thought in Sixteenth-Century France (Cambridge
1941), 74ff.; G. Stricker, Das politische Denken der Monarchomachen (phil. Diss.
Heidelberg 1967); J. Dennert, Ursprung und Begriff der Souveränität (Stuttgart
1964), 38ff. Zum Bundes- und Vertragsgedanken der monarchomachischen Literatur
vgl. J. W. Gough, The Social Contract (2.Aufl. Oxford 1957), 49ff.; G. Oestreich, Die
Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag. In: Ders., Geist und Ge-
stalt des frühmodernen Staates (Berlin 1969), 167ff. Zur Tyrannenlehre der Monar-
chomachen vgl. auch O. Jäszi - J. D. Lewis, Against the Tyrant. The Tradition und
Theory of Tyrannicid (Glencoe, 111. 1957), 53ff.
46 Nur bei Knox ist die causa religionis offen in den Mittelpunkt gestellt worden, dann
erst wieder bei den katholischen Monarchomachen.
Eike Wolgast
4.
Während die Magdeburger Theorien in Deutschland Episode blieben,
wurden die konfessionellen Konflikte in England und Schottland und
der Bürgerkrieg in Frankreich zum Anlaß intensiver Erörterungen über
das Wesen der Staatsgewalt und ihre Grenzen sowie über die Pflichten
des Fürsten und die Rechte der ständischen Korporationen und der ein-
zelnen Untertanen. Beide Konfessionsparteien bemühten sich in diesen
Auseinandersetzungen, das eigene Verhalten durch theoretische Absi-
cherungen rechtlich unangreifbar zu machen und die Rechtmäßigkeit
ihrer Gewaltanwendung gegen den magistratus superior nachzuwei-
sen45. Obwohl die Religionsfrage die politischen Krisen auslöste und
der französische Bürgerkrieg jahrzehntelang wesentlich durch die reli-
giösen Grundsätze geprägt wurde, konzentrierten die protestantischen
Monarchomachen ihre Bemühungen vor allem auf eine Klärung der
Rechtsfrage, um hier eine vermeintlich objektive Grundlage zu gewin-
nen und von der Subjektivität der Glaubensüberzeugung als Unter-
scheidungsmerkmal und vor allem als Antrieb ihres politischen Han-
delns nach außen hin unabhängig zu werden46. Zu diesem Zweck stell-
ten sie dem gegenwärtigen Zustand des Staates, der durch Gewaltherr-
schaft und unrechtmäßige Neuerungen korrumpiert sei, die alte verfas-
sungsmäßige Ordnung gegenüber oder proklamierten eine akute Be-
drohung des überlieferten Rechtszustands durch den Fürsten, vor allem
im Fall der Glaubensverfolgung. Die Restitution der alten verfassungs-
mäßigen Ordnung bzw. die Bewahrung der bestehenden Rechtsverhält-
nisse, in denen die ständische Mitbestimmung die Willkür des Fürsten,
wie sie sich in der Glaubensverfolgung manifestierte, in Schranken hal-
45 Zu den Monarchomachen vgl. neben der immer noch brauchbaren Arbeit von R.
Treumann, Die Monarchomachen. Eine Darstellung der revolutionären Staatslehren
des XVI. Jahrhunderts (1573-1599) (Leipzig 1895) Wolzendorff (s.Anm. 5), 95ff.;
W. F. Church, Constitutional Thought in Sixteenth-Century France (Cambridge
1941), 74ff.; G. Stricker, Das politische Denken der Monarchomachen (phil. Diss.
Heidelberg 1967); J. Dennert, Ursprung und Begriff der Souveränität (Stuttgart
1964), 38ff. Zum Bundes- und Vertragsgedanken der monarchomachischen Literatur
vgl. J. W. Gough, The Social Contract (2.Aufl. Oxford 1957), 49ff.; G. Oestreich, Die
Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag. In: Ders., Geist und Ge-
stalt des frühmodernen Staates (Berlin 1969), 167ff. Zur Tyrannenlehre der Monar-
chomachen vgl. auch O. Jäszi - J. D. Lewis, Against the Tyrant. The Tradition und
Theory of Tyrannicid (Glencoe, 111. 1957), 53ff.
46 Nur bei Knox ist die causa religionis offen in den Mittelpunkt gestellt worden, dann
erst wieder bei den katholischen Monarchomachen.