Metadaten

Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0018
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
16

Martin Hengel

wurde28. Er setzt so die Kenntnis der Evangelienüberschriften vor-
aus, aber er reflektiert noch nicht wie eine Generation später Irenäus
über das Verhältnis von Pluralität und Einheit, sondern orientiert
sich in fast naiver Weise allein an der Einheit des apostolischen
Zeugnisses, das in den „Erinnerungen der Apostel“ seinen Nieder-
schlag fand.
Fragen wir zeitlich vor Justin zurück, so stoßen wir auf das Evan-
gelium Marcions, mit dem er vermutlich um 144 hervortrat29, jenes
rigoros „gereinigte“ Lukasevangelium, das er als das eine wahre Evan-
gelium betrachtete und, wie Tertullian tadelt, unter Beseitigung des
Verfassemamens als „das Evangelium“ bezeichnete. Für Tertullian
besaß dagegen ein Werk ohne vollen Titel mit Verfassemamen keine
Autorität30. Auch bei Marcion kann man davon ausgehen, daß er be-
reits mehrere Evangelien kannte31 32. Daß er gerade das Lukasevan-
gelium auswählte, erklärt sich m.E. am besten dadurch, daß es schon
für ihn durch Titel und Tradition einem Paulusschüler zugeschrieben
wurde. Die Evangelien des Matthäus und Johannes kamen, da von
judaisierenden Uraposteln stammend, nicht in Frage, und das des Mar-
kus als des Schülers des „legis homo“2,2 Petrus erst recht nicht. Da Lukas
nach Marcion das ursprüngliche, von Christus dem Paulus anvertraute,
Evangelium verfälscht hatte und erst Marcion selbst es wieder in
seiner gültigen, reinen Form herstellen konnte, erscheint die Ent-
fernung des Namens des Verfälschers und die Bezeichnung mit dem
wahren Titel „das Evangelium“, xö εύαγγέλιον, als innere Notwen-
digkeit.
28 Vgl. apol. 42,4; 45,5; 49,5; 50,12; 53,3; dial. 114,4; 119,6. Bezeichnend ist, daß
Justin die Wortverkündigung der Apostel nie als Evangelium bezeichnet. Das Evan-
gelium ist für ihn ausschließlich Schrift.
29 A. v. Harnack, Marcion: das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie
zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, TU 45, 21924 (Nach-
druck Darmstadt 1960), 26. Zum Evangelium Marcions s. 177*-255*.
30 Tertullian, adv. Marc. 4,2,3: Contra Marcion evangelio scilicet suo nullum adscribit
auctorem, quasi non licuerit Uli titulum quoque affingere cui nefas non fuit ipsum
corpus evertere. Et possem hic iam gradum figere, non agnoscendum contendens opus
quod non erigat frontem, quod nullam constantiam praeferat, nullam fidem repro-
mittat de plenitudine tituli et professione debita auctoris. Vgl. die Argumentation
des Marcioniten Megethius b. Adamantius, ed. Bakhuyzen, GCS, 1901, p. 8/10
gegen die Autorschaft des Lk und Mk.
31 Zur Auseinandersetzung Marcions mit Mt 5,17 in den „Antithesen“ s. A. v. Har-
nack op. cit. (Anm. 29), 261*f. vgl. 259*. Ein Einfluß des Mt auf sein Evan-
gelium ist nicht auszuschließen, vgl. 251*f.
32 Tertullian, adv. Marc. 4,11,1.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften