Metadaten

Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0014
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12

Ernst A. Schmidt

Diese These steht in schroffem Widerspruch zur gelehrten Literatur
der letzten Jahrzehnte. Deren Tenor ist: die Zukunft ist in Augustins
Zeitverständnis ausgezeichnet; Zukunft ist bei ihm das Wesen der
Zeitlichkeit des Menschen. Die Ausspannung der menschlichen Seele
ist primär zukünftig, als solche auf die Ewigkeit ausgerichtet und inso-
fern Heilszeit und Element von Heilsgeschichte.
Ladislas Boros, SJ, Schüler von Gabriel Marcel, betrachtet in seiner
Münchner Dissertation „Das Problem der Zeitlichkeit bei Augusti-
nus“ (1954) - mir nur in ihrer französischen Fassung bekannt („Les
categories de la temporalite chez Saint Augustin“, 1958) - die Essenz
des irdischen Daseins bei Augustin in Hoffnung und Erwartung kon-
stituiert. Das zeitliche Dasein („le Dasein temporel“) sei eine konti-
nuierliche Spannung auf einen zukünftigen Zustand hin2. John F. Cal-
lahan deutet in einem Artikel, der Augustins Psychologie der Zeit auf
Gregor von Nyssa zurückführen will, die Zeit bei dem Kappadokier -
und damit implizit auch bei Augustin - als “the means whereby (man)
makes his way through this life in order to attain to a higher one”3.
Erich Lampey versteht in seiner Münchner Dissertation (1949/60)
„Das Zeitproblem nach den Bekenntnissen Augustins“ Zeitlichkeit
bei Augustin als durch die Zukunft bestimmt. „Der dreifache Modus
der Gegenwart“ habe „sein Konstitutivum im Noch-nicht der
Zukunft“, Zeitlichkeit sei Zeitigung aus der Zukunft her4. Wie Lampe}
ist der Benediktiner Odilo Lechner Schüler Rudolph Berlingers. Ber-
linger, in seinem Aufsatz „Zeit und Zeitlichkeit bei Augustin“ (1953),
und Lechner, in seiner Würzburger Dissertation 1963 „Idee und Zeit in
der Metaphysik Augustins“, betrachten als Analogien zur Dreifaltig-
keit Erinnerung, Wahrnehmung und Erwartung, die in den Confessio-
nes die menschliche Zeit ausmachen, andere trinitarische Strukturen
des menschlichen Geistes. Während Berlinger die Trinität Sein, Wis-
sen, Wollen ergreift, zieht Lechner Glaube, Liebe, Hoffnung heran
und bezeichnet sie als „dreifältige Konstitution des Zeitraumes durch
den Geist, der sich dehnt im Hinblick auf die Ewigkeit als sein vorgän-
giges Gegenüber“. So werden also Wille und Hoffnung, Weisen
menschlicher Zukünftigkeit in Ewigkeitsbezug, als konstitutiv für
Augustins Zeitverständnis betrachtet. Lechner sieht den Sinn von Zeit

2 Boros, Temporalite chez A., S. 365.
3 Callahan, Gregory and Psycholog. Time, S. 63.
4 Lampey, Zeitproblem nach conf., S. 35.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften