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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0022
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Ernst A. Schmidt

Man sollte feststellen, daß Duchrows Kritik auch deshalb fehl geht,
weil schon griechische Philosophie, von Aristoteles über die Stoa bis
zu Plotin, Zeit und Seele in Zusammenhang brachte24. Damit will ich
nicht sagen, daß Augustin in seiner ,Psychologisierung4 der Zeit von
der aristotelischen Physik, der stoischen Zeitlehre oder der plotini-
schen Metaphysik der Zeit abhänge, sondern nur, daß Seele und kos-
mische Kreisbewegung bzw. griechisches Denken nicht als ausschlie-
ßende Alternativen zu denken sind.
Vor allem aber gilt es zu erkennen, daß das, was wie griechische
Ontologie aussieht, das Denken von Sein als Gegenwart (Praesens)
und Anwesenheit (Präsenz), bei Augustin nicht unmittelbar von der
griechischen Ontologie herkommt (zumal er von dort auch den man-
nigfaltigen Sinn von Sein und die kategorialen Unterscheidungen von
Sein hätte lernen können, statt sich Sein ausschließlich als Substanz
vorzustellen, was immerhin eine recht primitive Reduktionsform grie-
chischer Ontologie wäre), sondern von den mit der griechischen Onto-
logie zwar verwandten aber doch unterschiedenen Bereichen der
Schulgrammatik und alltäglicher Auffassung von sinnlicher Erkennt-
nis bzw. konventionell-traditionellem Verständnis von Erkenntnis
überhaupt: das Praesens kommt aus der Grammatik, die Präsenz aus
der Wahrnehmungs- und Erkenntnislehre.
Daß Augustin in seinen expliziten Äußerungen23 Zeit allein als
Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft (McTaggarts A-Reihe) und nie als
Früher-und-Später (McTaggarts B-Reihe26) begreift, liegt eben am
Temporalsystem der Schulgrammatik mit ihren „tria tempora, sicut
pueri didicimus puerosque docuimus“ (conf. 11, 17, 22)2/. Das Seins-

Zeit. Sowie man einen Begriff von Zeit hat - und ohne ihn kann es auch keine Zeit-
auffassung geben -, ist wegen des Sukzessionscharakters von Zeit Kreislauf unmög-
lich, und die griechische Philosophie hat Zeit auch nie als Kreis gedacht.
24 Vgl. dazu O’Daly, A. on Measurement of Time, S. 173f.
25 Implizit sieht das anders aus; vgl. u. S. 27; S. 29; Anm. 56; S. 36; S. 59.
26 J. E. McTaggart, The Nature of Existence, Cambridge (1927’), 19682.
27 Die Meinung Sauters (Zukunft, S. 20): „Und doch (sc. so sehr die griechische Onto-
logie Wegbereiter ist) hat eigentlich erst die lateinische Grammatik mit ihrer be-
grifflich präzisen Fassung der drei Zeitstufen [... ] das Zeitthema verschärft und in
eins damit zur Klärung des ,esse‘ gereizt“ (mit einschränkendem Hinweis in Anm.
19 auf Plato, Tim. 37 e - 38 a und Arist., Phys. 218 a 8 ff.) läßt sich kaum halten: die
einschränkend genannten griechischen Texte geben die gleiche begrifflich präzise
Fassung der Zeitstufen im Griechischen zu erkennen: ro r’ f]v to t’ ccrrai /povou
 
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