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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0024
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Ernst A. Schmidt

Bildertheorie, Wiedererkennen, Mnemotechnik - im rhetorischen
Schulbetrieb tradiert wurden, woher Augustin sie kannte32.
Die Dreiheit „memoria, contuitus, expectatio“ entspricht der ari-
stotelischen Trias pvf|pr], aioüriou;, sAmc;, von der es mem. 449 b 27 f.
heißt: tou päv mapovToc; aioür|ai<;, tov öe ps/ZovToq eättic;, tov öe yevo-
psvov pvf|pr|.
Die Plausibilität der Annahme solcher auf Aristoteles zurückge-
hender Lehrstücke in der rhetorischen Wissenschaftstradition sei noch
durch die Gegenüberstellung mit einer konkurrierenden Auffassung
befestigt. John F. Callahan hatte in seinem schon genannten Aufsatz
über Gregor von Nyssa und die psychologische Zeitauffassung33, ohne
sich des aristotelischen Ursprungs des Lehrstücks bewußt zu sein,
Augustin von Gregor abhängig gemacht und dieses neue Bild der
Genese des psychologischen Zeitbegriffs als Transformation der neu-
platonischen Zeitlehre ins Psychologische interpretiert. Es geht mir
nicht um die technische Widerlegung dieses Einflusses (Augustin
kennt von den Kappadoziern nur die Genesishomilien Basilius des
Großen34), sondern um die Beobachtung, daß Augustin Aristoteles,
De memoria sachlich näher steht als den von Callahan angezogenen
Stellen aus Gregor, Contra Eunomium (1370-372; II459 = ed. Jaeger,
vol. I, p. 129,26-130,15; p. 344,21-345,5). Dort ist nämlich nur von
Zukunft und Vergangenheit und von Hoffnung und Erinnerung als
geschöpflichen 7taür| die Rede, während die für Augustins Zeitlehre
zentrale Gegenwart und die von ihm mit Aristoteles geteilte aioüpcm;
gänzlich fehlen. Mit dieser Feststellung soll aber gerade nicht ein Den-
32 Wendelin Schmidt-Dengler, Die „aula memoriae“ in den Konfessionen des heiligen
Augustin, Rev. Et. Aug. 14 (1968), S. 69-89 bringt Augustins Gedächtnislehre in
Zusammenhang mit dem mnemotechnischen Orte-System in der römischen
Rhetorik; dieses Orte-System ist übrigens auch Aristoteles schon bekannt (vgl.
Sorabji, Arist. on Memory, S. 22 mit Anm. 1). Die Raummetaphorik und Abdruck-
theorie in den Confessiones sind weitgehend bei Cicero und Quintilian in Zusam-
menhang von „memoria“ vorgegeben („thesaurus“; „recessus“; „sinus“ - „plerique
inprimi quaedam vestigia animo velut in ceris anulorum signa, <quae> serventur,
existimant“: Quint., Inst. or. 11,2,4) und liegen schon in „De magistro“ (389) vor:
Vgl. bes. mag. 39 (CSEL 77, ed. Weigel, p. 48,11-17): „[...] non iam res ipsas, sed
imagines ab eis impressas memoriaeque mandatas [...]. [... ] imagines in memo-
riae penetralibus rerum ante sensarum [... ]“.
33 Vgl. o. S. 12 mit Anm. 3.
34 Vgl. Duchrow, Sog. psycholog. Zeitbegriff A.s, S. 272. Duchrows Rückweisung gilt
zugleich auch einem anderen Artikel Callahans: Basil of Caesarea, a New Source for
St. Augustine’s Theory of Time, Harv. Stud. 63 (1958), S. 437-454.
 
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