30
Ernst A. Schmidt
14 sq.) ist doch offenbar die Voraussetzung für den zeitlichen Charak-
ter des zu messenden Erinnerungsbildes.
Das Phänomen, das Augustin hier in den Blick bekommt („sonat et
adhuc sonat“, „sine ulla distinctione“, „praesens [...] adest attentio
mea, per quam traicitur quod erat futurum, ut fiat praeteritum“: conf.
11, 28, 38) und umschreibt, ohne daneben den Punktcharakter der
Gegenwart aufzugeben, kennt er aus der Grammatik unter dem
Namen eveotüx; Tcapccccmxoq45 bzw. „praesens imperfectum“. Vgl.
Priscian VIII, Gramm. Lat. II, p. 414,24ff. Keil: „Praesens tempus hoc
solemus dicere quod contineat et coniungat quasi puncto aliquo iunc-
turam praeteriti temporis et futuri nulla intercisione interveniente46.
Unde Stoici iure hoc tempus ,praesens imperfecturff vocabant [...]“.
Das stoische Tempussystem (/povot) wurde von Varro auf das Latei-
nische angewendet47.
Sonst hat Duchrow zur Herkunft dieses Abschnitts der Confessio-
nes nahezu alles Wichtige gesagt. Die Trias „memoria“, „attentio“ bzw.
„intentio“ und „expectatio“ im Kontext von Musik, Rhythmik und
Zeitmessung begegnet schon in der frühen Schrift De immortalitate
animae 3; und De musica. De quant. animae 68 und De ordine 2, 39
und 42, mit denen unser Abschnitt zusammenhängt, führen aufVarros
Disciplinarum libri. „Augustins starkes Interesse an der memoria und
überhaupt den seelischen Vorgängen bei zeitlichen Klangphänome-
nen stammt also aus seiner Beschäftigung als Rhetorikprofessor mit
der Sprache, vor allem aber mit der ihm besonders durch Varro vermit-
telten Disziplin der Rhythmik“. Bei Varro findet er bis ins Physiolo-
45 Von TrapaTEivco (ausspannen). Allgemeiner ist %pövo<; Kaparcmxoc; (Imperfekt);
7rapcc-caai^ ist der grammatische Terminus sowohl für dieses Tempus als auch für
das Praesens imperfectum (vgl. Apollonius Dyscolus, Gramm. Graec. II 2, ed.
Uhlig: De syntaxi p. 252,4; 253,3 sq.; 70,27 Bekker) und andererseits Ausdruck für
zeitliche Ausdehnung und Dauer (u.a. in der Philosophie; Stoa: SVF, fr. 396 = vol.
III, p. 96,26; Neuplatonismus: Plotin, enn. III 7,8,55 und Beierwaltes, comm., S.
226, 207f. und S. 265f. mit weiteren neuplatonischen Belegen, darunter Gregor v.
Nyssa, Contra Eunomium II 70 = vol. I, p. 235, 31 ff. Jaeger (korrigiert gegenüber
Beierwaltes); vgl. noch Porphyrius, Vita Plotini 5,39 (= andere Titelform für enn. I
5) und Damasc., De principiis 298). Augustins „distentio“ steht sprachlich zwischen
öza-oxaou; und napä-Tam^.
46 Augustins Analyse ist bis in die Sprachform hinein von dieser grammatischen
Lehre abhängig.
47 Vgl. Max Pohlenz, Die Begründung der abendländischen Sprachlehre durch die
Stoa (NGG 1939). Abgedruckt in: M.P., Kl. Sehr. I, S. 39-86; hier: S. 64ff; Schwyzer,
Griech. Gramm. (Hdb. d. Altertumswiss. II 1.2) II, S. 249.
Ernst A. Schmidt
14 sq.) ist doch offenbar die Voraussetzung für den zeitlichen Charak-
ter des zu messenden Erinnerungsbildes.
Das Phänomen, das Augustin hier in den Blick bekommt („sonat et
adhuc sonat“, „sine ulla distinctione“, „praesens [...] adest attentio
mea, per quam traicitur quod erat futurum, ut fiat praeteritum“: conf.
11, 28, 38) und umschreibt, ohne daneben den Punktcharakter der
Gegenwart aufzugeben, kennt er aus der Grammatik unter dem
Namen eveotüx; Tcapccccmxoq45 bzw. „praesens imperfectum“. Vgl.
Priscian VIII, Gramm. Lat. II, p. 414,24ff. Keil: „Praesens tempus hoc
solemus dicere quod contineat et coniungat quasi puncto aliquo iunc-
turam praeteriti temporis et futuri nulla intercisione interveniente46.
Unde Stoici iure hoc tempus ,praesens imperfecturff vocabant [...]“.
Das stoische Tempussystem (/povot) wurde von Varro auf das Latei-
nische angewendet47.
Sonst hat Duchrow zur Herkunft dieses Abschnitts der Confessio-
nes nahezu alles Wichtige gesagt. Die Trias „memoria“, „attentio“ bzw.
„intentio“ und „expectatio“ im Kontext von Musik, Rhythmik und
Zeitmessung begegnet schon in der frühen Schrift De immortalitate
animae 3; und De musica. De quant. animae 68 und De ordine 2, 39
und 42, mit denen unser Abschnitt zusammenhängt, führen aufVarros
Disciplinarum libri. „Augustins starkes Interesse an der memoria und
überhaupt den seelischen Vorgängen bei zeitlichen Klangphänome-
nen stammt also aus seiner Beschäftigung als Rhetorikprofessor mit
der Sprache, vor allem aber mit der ihm besonders durch Varro vermit-
telten Disziplin der Rhythmik“. Bei Varro findet er bis ins Physiolo-
45 Von TrapaTEivco (ausspannen). Allgemeiner ist %pövo<; Kaparcmxoc; (Imperfekt);
7rapcc-caai^ ist der grammatische Terminus sowohl für dieses Tempus als auch für
das Praesens imperfectum (vgl. Apollonius Dyscolus, Gramm. Graec. II 2, ed.
Uhlig: De syntaxi p. 252,4; 253,3 sq.; 70,27 Bekker) und andererseits Ausdruck für
zeitliche Ausdehnung und Dauer (u.a. in der Philosophie; Stoa: SVF, fr. 396 = vol.
III, p. 96,26; Neuplatonismus: Plotin, enn. III 7,8,55 und Beierwaltes, comm., S.
226, 207f. und S. 265f. mit weiteren neuplatonischen Belegen, darunter Gregor v.
Nyssa, Contra Eunomium II 70 = vol. I, p. 235, 31 ff. Jaeger (korrigiert gegenüber
Beierwaltes); vgl. noch Porphyrius, Vita Plotini 5,39 (= andere Titelform für enn. I
5) und Damasc., De principiis 298). Augustins „distentio“ steht sprachlich zwischen
öza-oxaou; und napä-Tam^.
46 Augustins Analyse ist bis in die Sprachform hinein von dieser grammatischen
Lehre abhängig.
47 Vgl. Max Pohlenz, Die Begründung der abendländischen Sprachlehre durch die
Stoa (NGG 1939). Abgedruckt in: M.P., Kl. Sehr. I, S. 39-86; hier: S. 64ff; Schwyzer,
Griech. Gramm. (Hdb. d. Altertumswiss. II 1.2) II, S. 249.