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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0037
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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Erinnerungsbilder (Morgenröte und Sonnenaufgang) darstellt, also
Vergangenheitserfahrung voraussetzt; die spezifische Präsenzweise
des Zukünftigen bleibt ungeklärt36.
56 Allerdings ist Augustin auch bei den Erinnerungsbildern nicht über Aristoteles
hinausgekommen; wir finden dessen Andeutungen zu ihrer spezifischen Präsenz-
weise bei ihm nicht entfaltet oder auch nur wiederholt. (Wir dürfen ihn eben nicht
als in Auseinandersetzung mit Aristoteles verstehen, sondern haben nur mit der
Tradierung aristotelischer Denkelemente in der römischen Rhetorik zu rechnen).
Vgl. Arist., mem. 449 b 22 f.; 28 f.: psra %pövou naoa pvqpr]. wcnf öoa %pövou
aioödvETai, Taura pova töv C&cov pvrjpoveüei; 450 a 19-22: KpooaujüavsTai öti
Ttporcpov. Sorabjis, Arist. on Memory, S. 9, Anm. 1, Emendation nporepov,
TtpooaujüdvcTai gibt dem TtpooaiaüavETai einen ungewöhnlicherweise vorange-
stellten ÖTi-Satz (öti eiöe toüto [... ] npÖTepov, upooaioüdvcrai). Will man verbes-
sern, so sollte man ein weiteres npörepov einfügen (wie es dem Schwanken der
Überlieferung zugrundezuliegen scheint) und zur Verdeutlichung den Querverweis
des Aristoteles in Klammern setzen: del yap örav Evepyij rfi pvtjp-q (xaüanep xai
Hporepov eirropev - seil. 449 b 23- öti [abhängig von Eixopev] eiöe tovto rj fjxouosv fj
spaÜE (npÖTspov) - vgl. 449 b 23-), KpooaioüavETai öti Kporspov. tö öe upÖTEpov xai
ijoTEpov ev xpövcp eotiv; mem. 452 b, bes. b 23f. und dazu Sorabji, Arist. on
Memory, S. 7: „Aristotle distinguishes between the image representing the time-
lapse and the image representing the thing remembered“. Ihr Zusammentreffen
ergibt die Erinnerung. - Augustin hat jedoch im zehnten Buch die zeitliche Folge
von Erinnerungsbildern, d.h. die Bewahrung der Reihenfolge sinnlicher Eindrücke,
bedacht, und er hat dabei Zeit ohne Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft als bloßes
Früher-und-Später, als Sukzession, vorgestellt: „alia faciliter et inperturbata serie
sicut poscuntur suggeruntur et cedunt praecedentia consequentibus [...], cum ali-
quid narro memoriter“ (conf. 10, 8, 12). Die xpÖTEpov-uoTEpov-Reihe des Erinne-
rungsprozesses erweist sich allerdings nur dann als die der zeitlichen Sukzession
der Ereignisse selbst, wenn sie, wie hier, eben die der unverwirrten Folge („inper-
turbata serie“) des Erzählens ist („narro memoriter“); „cedunt praecedentia conse-
quentibus“ ist nicht an sich schon die Sukzession der Ereignisse selbst. Die Inter-
pretation von Courcelle, Recherches (conf.)2, S. 37 (vgl. S. 46), wonach in diesem
Abschnitt der Fall behandelt werde, daß die Erinnerungen „selon un ordre inverse
de l’ordre chronologique“ sich einstellen, ist ein Mißverständnis. - Ein genaueres
Modell für das Verhältnis von wahrgenommener Morgenröte und präsentem Ima-
ginationsbild zukünftigen Sonnenaufgangs als das zweier verbundener Vergangen-
heitsbilder ist wahrscheinlich die gegenwärtige Wahrnehmung des Sonnenaufgangs
und die gleichzeitige Anschauung des Erinnerungsbildes Morgenröte, d.h. die
durch die Wahrnehmung der aufgehenden Sonne ausgelöste Erinnerung, bzw., für
die Vergangenheit, das eine Erinnerungsbild, daß die „affectio“ durch die auf-
gehende Sonne mit der Erinnerung an die Morgenröte, also der „affectio“ durch ein
Erinnerungsbild, einherging. Das würde bedeuten, daß die Erinnerung zweier Er-
eignisse nicht das öti xpÖTEpov des einen mit vorstellt, sondern die Folge von
Gegenwart-Vergangenheit, von dieser aber zugleich weiß, daß sie der Folge
Zukunft-Gegenwart analog ist. - Daß die Vergangenheit in der Seele insgesamt
zeitlich nur nach der B-Reihe strukturiert sein kann, d.h. nicht in der immer erneu-
 
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