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Ernst A. Schmidt
konnte, und andererseits an Augustin als Begründer der Geschichts-
philosophie festhalten wollte, sie also „eigentlicher Geschichtsphilo-
sophie“ als einem pa/tcrra (nicht einem povov) eine Geschichtsphilo-
sophie, die dies nur pcdUov rj fjirov ist, vorausgehen ließ. Sie unter-
stellt dabei, die Fleischwerdung des Wortes und die Eschatologie seien
eo ipso geschichtlich bzw. geschichtsproduktiv oder durch Augustin
vergeschichtlicht worden; die eindeutig formulierte Einsicht, daß erst
Joachim di Fiore dies geleistet habe, verhindert nicht, dennoch Augu-
stin weiterhin als Geschichtsphilosophen zu betrachten10, ebenso-
wenig wie die Einsicht, daß erst die Säkularisation des Heils (alle For-
men diesseitigen Fortschritts) dieses universal gemacht hat, an der
Denkmöglichkeit von Weltgeschichte im Horizont von Gericht hat
zweifeln lassen.
Es geht mir hier um diesen eingeschränkten Begriff des Geschichts-
philosophischen, um Geschichtsphilosophie vor der Geschichtsphilo-
sophie, um Geschichtstheologie, d. h. um die Auffassung von
Geschichte als Einheit (Welt-, Universalgeschichte) und Sinn (Welt-
Löwith so verschiedene Sprachen sprechen, daß sie einander nicht verstehen kön-
nen und daß alle glänzenden geschichtlichen Nachweise Blumenbergs die Leiden-
schaft Löwiths, das Pathos seines Begriffs autonomer und eben deshalb skeptischer
Vernunft, nicht erreichen. Löwith, der ja nicht die Autonomie der Vernunft als ille-
gitim diagnostiziert, sondern im Gegenteil für ihre echte Autonomie wirbt, fragt
skeptisch, ob es wirklich vernünftig sei, den geschichtlichen Prozeß für vernünftig
zu halten. Und da will auch Blumenberg ihn offenbar nicht widerlegen, wenn auch
seine Formulierungen, wenn er von „Überforderung“ und „Überanstrengung“ der
Rationalität im übernommenen Anspruch, Geschichte zu erklären, spricht (S. 59f),
blasser als Löwiths Kritik bleiben. - Diese Stimme zum Streit zwischen Blumen-
berg und Löwith ist nicht Kritik an Blumenbergs These, die ich im Gegenteil für
richtig halte, sondern das Urteil, daß dieser bei der berechtigten Zurückweisung
von Löwiths Säkularisierungstheorem nicht dessen Motiv gerecht wird - was er von
seinem Programm her und angesichts Löwiths Bekräftigung auch gar nicht
brauchte -, daß nämlich Löwith das überkommene Säkularisierungsmodell als ein
ihm geeignet erscheinendes Vehikel zu seiner Kritik einer Form der modernen Ver-
nunft aufgriff. - VgL jetzt auch Bubner, Geschichtsprozesse, S. 78ff.: „Geschichts-
philosophie ist nicht ausschließlich zu interpretieren als geradlinige Verlängerung
der Säkularisation theologischer Universalgeschichte“; zur Säkularisation mußte
die spezifische Geschichtserfahrung der zweiten Hälfte des 18. Jhs., nämlich die
erstmalige Erfahrung der Geschichtlichkeit des Denkens selbst, hinzutreten, um
Geschichtsphilosophie zu begründen.
10 Vgl. Löwith, Weltgeschichte, S. 168 (143), Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 585 ff. u. 592
und Duchrow, Zweireichelehre, S. 184 u. 365.
Ernst A. Schmidt
konnte, und andererseits an Augustin als Begründer der Geschichts-
philosophie festhalten wollte, sie also „eigentlicher Geschichtsphilo-
sophie“ als einem pa/tcrra (nicht einem povov) eine Geschichtsphilo-
sophie, die dies nur pcdUov rj fjirov ist, vorausgehen ließ. Sie unter-
stellt dabei, die Fleischwerdung des Wortes und die Eschatologie seien
eo ipso geschichtlich bzw. geschichtsproduktiv oder durch Augustin
vergeschichtlicht worden; die eindeutig formulierte Einsicht, daß erst
Joachim di Fiore dies geleistet habe, verhindert nicht, dennoch Augu-
stin weiterhin als Geschichtsphilosophen zu betrachten10, ebenso-
wenig wie die Einsicht, daß erst die Säkularisation des Heils (alle For-
men diesseitigen Fortschritts) dieses universal gemacht hat, an der
Denkmöglichkeit von Weltgeschichte im Horizont von Gericht hat
zweifeln lassen.
Es geht mir hier um diesen eingeschränkten Begriff des Geschichts-
philosophischen, um Geschichtsphilosophie vor der Geschichtsphilo-
sophie, um Geschichtstheologie, d. h. um die Auffassung von
Geschichte als Einheit (Welt-, Universalgeschichte) und Sinn (Welt-
Löwith so verschiedene Sprachen sprechen, daß sie einander nicht verstehen kön-
nen und daß alle glänzenden geschichtlichen Nachweise Blumenbergs die Leiden-
schaft Löwiths, das Pathos seines Begriffs autonomer und eben deshalb skeptischer
Vernunft, nicht erreichen. Löwith, der ja nicht die Autonomie der Vernunft als ille-
gitim diagnostiziert, sondern im Gegenteil für ihre echte Autonomie wirbt, fragt
skeptisch, ob es wirklich vernünftig sei, den geschichtlichen Prozeß für vernünftig
zu halten. Und da will auch Blumenberg ihn offenbar nicht widerlegen, wenn auch
seine Formulierungen, wenn er von „Überforderung“ und „Überanstrengung“ der
Rationalität im übernommenen Anspruch, Geschichte zu erklären, spricht (S. 59f),
blasser als Löwiths Kritik bleiben. - Diese Stimme zum Streit zwischen Blumen-
berg und Löwith ist nicht Kritik an Blumenbergs These, die ich im Gegenteil für
richtig halte, sondern das Urteil, daß dieser bei der berechtigten Zurückweisung
von Löwiths Säkularisierungstheorem nicht dessen Motiv gerecht wird - was er von
seinem Programm her und angesichts Löwiths Bekräftigung auch gar nicht
brauchte -, daß nämlich Löwith das überkommene Säkularisierungsmodell als ein
ihm geeignet erscheinendes Vehikel zu seiner Kritik einer Form der modernen Ver-
nunft aufgriff. - VgL jetzt auch Bubner, Geschichtsprozesse, S. 78ff.: „Geschichts-
philosophie ist nicht ausschließlich zu interpretieren als geradlinige Verlängerung
der Säkularisation theologischer Universalgeschichte“; zur Säkularisation mußte
die spezifische Geschichtserfahrung der zweiten Hälfte des 18. Jhs., nämlich die
erstmalige Erfahrung der Geschichtlichkeit des Denkens selbst, hinzutreten, um
Geschichtsphilosophie zu begründen.
10 Vgl. Löwith, Weltgeschichte, S. 168 (143), Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 585 ff. u. 592
und Duchrow, Zweireichelehre, S. 184 u. 365.