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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0069
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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Die Deutung von Augustins „De civitate Dei“ als eines geschichts-
philosophischen Unternehmens ist sich der katachrestischen Verwen-
dung des (1764 von Voltaire geprägten8) Begriffs „Geschichtsphiloso-
phie“ im allgemeinen bewußt gewesen, ein Bewußtsein, dessen Schär-
fung unvermeidlich wurde, als die Philosophie, in der Reflexion auf
die Geschichte der Geschichtsphilosophie, einerseits erkannte, daß
diese, als Produkt der Säkularisation9, nicht vor dem 18. Jh. entstehen

8 Vgl. Löwith, Weltgeschichte, S. 114 (99) und Histor. Wörterbuch der Philosophie, s.
v., Sp. 416 (U. Dierse / G. Scholtz).
9 Vgl. vor allem Löwith, Weltgeschichte. Im Streit zwischen Löwith (Säkularisie-
rungsthese) und Blumenberg (Kritik einer Kategorie des geschichtlichen Unrechts)
diese Stationen: Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1949/53) - Blumen-
berg, Die Legitimität der Neuzeit (1966) - Löwith, rec. in Philos. Rundschau 15
(1968), S. 195-201 (= Weltgeschichte, S. 452-459) - Blumenberg, Säkularisierung
und Selbstbehauptung (1974; = Legitimität der Neuzeit 1/2). Löwiths Säkularisie-
rungstheorem (Geschichtsphilosophie säkularisierte Heilsgeschichte) als Kritik an
der Illegitimität der Neuzeit und Diagnose der Unmöglichkeit autonomer
Geschichtsphilosophie wird von Blumenberg zurückgewiesen, der die Authentizi-
tät der autonomen Vernunft und die finale Autonomie des neuzeitlichen
Geschichtsbewußtseins mit der Erfahrung von Fortschritt und Methodenbewußt-
sein der neuen Wissenschaft verbindet (vgl. Legitimität der Neuzeit 1/2, S. 39; S.
61), d. h. geschichtliche Reflexivität als konstitutiv für die moderne Vernunft ver-
steht, und das Fehlen historisch-genetischen und sachlichen Zusammenhangs zwi-
schen der Fortschrittsidee und der christlichen Eschatologie betont. In dem letzte-
ren Progammpunkt (Legitimität der Neuzeit 1/2, S. 39) wird er Löwith insofern
nicht gerecht, als er Fortschrittsidee und Eschatologie unmittelbar miteinander
konfrontiert und nicht, wie Löwith es tut und es allein geschichtlich gerechtfertigt
ist, die christliche Säkularisierung (chiliastisch, reichstheologisch, progressiv uni-
versalhistorisch) der Eschatologie vom 3./4. Jh. (Apologetik, Eusebios, Ambrosius,
Orosius) über das Mittelalter (Joachim di Fiore; vgl. Duchrow, Zweireichelehre,
S.365 m. Anm. 206) bis zum 17. Jh. (Bossuet) in providentielle christliche
Geschichtsinterpretation mit dem zweiten Säkularisierungsschub im 18. Jh. verbin-
det (formuliert nach Herzog, Orosius, S. 79). Andererseits unterstellt er dennoch
Löwith eben diese Kontinuität, indem er, zur Herausstellung der (zu legitimieren-
den) Neuheit der Neuzeit sich „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“ auch darin
noch zum Gegenpol macht, daß er das Werk in dem Denkhorizont aufgehen läßt,
der durch das Nietzschebuch 1935 einer- und den Aufsatz „Das Verhängnis des
Fortschritts“ (1962; = Weltgeschichte, S. 392ff.) andererseits bezeichnet wird und
Kritik der Illegitimität der Nachantike, von Geschichts- statt Naturdenken, ist. ein
anderes grundlegendes Denkmotiv jedoch, wie das in „Skepsis und Glaube in der
Weltgeschichte“ (1950) gegenüber „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ vertiefte,
nicht berücksichtigt, d.h. den Stellenwert nicht anerkennt, den das Christentum
zwischen Griechentum und christlicher Geschichtsdeutung in Löwiths Denken
einnimmt. Überhaupt hat man gelegentlich den Eindruck, daß Blumenberg und
 
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