Metadaten

Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0071
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Zeit und Geschichte bei Augustin

69

plan, Zielgeschichte), also als einheitlichen Prozesses, ohne den Ver-
zicht auf Übergeschichtliches (Gott, Ewigkeit). Ich habe vor zu
begründen, daß das Werk über die Gottesstadt keine Geschichtstheo-
logie darstellt: Augustin vertritt nicht das Konzept einer Heils-
geschichte und denkt demnach nicht Fortschrittsgeschichte vor der
Ablösung der Geschichte von Gott. Er verbindet Geschichte nicht nur
nicht mit dem Heil, sondern entläßt sie sogar, bei aller Abhängigkeit
von Gott, in die Profanität11, die die Geschöpflichkeit der Schöpfung in
ihrem Abstand vom überweltlichen und überzeitlichen Gott ist. Und
auch die Weltzeit, das „saeculum“, bedeutet für ihn keine Einheit von
Geschichte als Weltgeschichte. Augustin steht der „theologischen
Unmöglichkeit [... ] einer christlichen Kultur und einer christlichen
Geschichte“12 näher, als die meisten seiner Interpreten wahrhaben
wollen.
Eine solche Lesung des Werks über die Gottesstadt wird mit Bloch
insofern zweckmäßig eröffnet, als dieser nicht im Heideggerschen Sinn
existenzial-ontologisch denkt und daher die ausdrückliche Wieder-
holung der Zurückweisung existenzphilosophischer Rede von Zeit-
lichkeit und Geschichtlichkeit des Menschen bei Augustin vermieden
werden kann, zugleich aber in der Augustinrezeption des Prinzips
Hoffnung die katholisch-institutionelle und die vor-existenzphiloso-
phische protestantisch-geschichtsphilosophische Deutungstradition
sichtbar werden.
Bloch hat an Augustins Werk über die Gottesstadt - so sehr ihm
das „Pfäffische“ daran zuwider war - zweierlei gemocht: Joachim di
Fiore13 und den Satz „Dies septimus nos ipsi erimus“14, das nachaugu-
stinisch Sozialrevolutionäre und die voraugustinische Messiassehn-
sucht der Juden. Er hat die (augustinisch-christliche) Hoffnung auf den
Frieden der ewigen Seligkeit mit der Geschichte verbunden - ohne

11 Vgl. Markus, Saeculum, bes. Kap. 3 (“secularisation of Roman history”), z. B. S. 55:
“The Empire [... ] is theologically neutral“ (vgl. S. 104). Diese „Säkularisation“ von
Politik und Geschichte ist mit der Zurückweisung eusebianischer Reichstheologie
generell der Abschied von „Creative politics“ (S. 83) und „politics of perfection“ (S.
103), von jeder Ansetzung eines innerweltlichen Ziels, dessen Erreichung politi-
sches Handeln zu dienen hätte (S. 83 ff).
12 Löwith, Weltgeschichte, S. 204 (173).
13 Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 590; S. 1002f.
14 civ. 22,30 (II, p. 634,9); Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 590, S. 1003.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften