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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0079
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Zeit und Geschichte bei Augustin

77

2. Kapitel
Kritik allgemeiner Denkmuster geschichtsphilosophischer Deu-
tung (I):
Institutionelles Geschichtssubjekt und diesseitiger teleologi-
scher Geschichtsprozeß
(1) Fehlübersetzung „civitas“ = „Staat“. Genese der augustinischen
Lehre von den beiden „civitates“
Nicht allein die auf die „civitas Dei“ konzentrierte geschichtsphiloso-
phische, nämlich die politisch-utopische und kirchenpolitisch-institu-
tionelle Interpretation des augustinischen Werkes lebt von der Über-
setzung und Auffassung, „civitas“ bedeute „Staat“, sondern auch die-
jenige geschichtsphilosophische Betrachtung, die die „civitas terrena“
und den Weltgeschichtsprozeß mit in den Blick nimmt. Einwände und
positive Gegenargumente sind immer wieder geäußert worden; man
findet die Grundeinsichten in jeweils neuer Entwicklung in der Litera-
tur von Scholz bis Duchrow: „Eine Übersetzung mit dem modernen
Begriff Staat wird von den meisten Forschem nicht mehr erwogen“38.
Deshalb stellt dieser Abschnitt nur eine knappe Zusammenfassung
bekannter und weitgehend anerkannter Sachverhalte dar.
Das Interesse an der Bedeutung „Staat“ findet in drei gängigen
methodischen Fehlern seine Stütze:
1. Weil zu „civitas“ in den Lexika auch „Staat“ zu finden ist, nimmt
man sich dies als seine Bedeutung, ohne zu beachten, daß das Wort zu
Augustins Zeit und bei ihm selbst „Bürgerschaft, Bürgerrecht, Stadt“
38 Duchrow, Zweireichelehre, S. 244. - Die deutschen Übersetzungen im Handel
heißen „Der (bzw.: Vom) Gottesstaat“ (C. J. Perl, Schöningh, 1979; W. Thimme,
Artemis/dtv 1955/78). Thimme vergißt sein Vorurteil immer wieder einmal und
übersetzt dann richtig: „Stadt“ (selbst „diese Stadt“ bei Beziehung auf eine Stelle,
wo er „Staat“ schreibt; vgl. z. B. Bd. 2, S. 214); beide Übersetzer werden im Kontext
mit Jerusalem von der Wahrheit gezwungen, „civitas Dei“ in „Stadt Gottes“ zu ver-
deutschen (z. B. zu civ. 17,3; II, p. 201,13). - Dem Plädoyer Sternbergers (Wurzeln
der Politik I, S. 311), wegen der politischen Bedeutung der antipolitischen Eschato-
logie beim herkömmlichen Titel „Gottesstaat“ zu bleiben, weil dieser, wenn man
gut hinhöre, die Paradoxie vernehmen lasse, entgegne ich: damit man überhaupt
beim Werk hinhört, muß der Titel korrekt (und darf er überraschend) sein; die
Erwartung, ein halb falscher Titel werde dem Leser das Gehör schärfen, ist ange-
sichts der Lautstärke überkommener Meinungen trügerisch. Vgl. Sternberger, a.O.
I, S. 309-312; II, S. 211-214, sowie I, S. 332: „In alledem wird eigentlich nicht so
recht einsichtig, warum diese zwei Klassen auch zwei Staaten, civitates, heißen“.
 
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