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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0082
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Ernst A. Schmidt

Auf die Bibel, nämlich Ps 86,3 („Glorios(issim)a dicta sunt de te,
civitas Dei“), beruft sich Augustin implizit in der Kopf- und Titelzeile
des Werkes: „Gloriosissimam civitatem Dei“44; und nachdem er dieses
Psalmwort mehrmals zitiert hat (civ. 2,21; (5,18); 10,7), beruft er sich zu
Beginn der zweiten Werkhälfte für die Existenz einer „civitas Dei“ aus-
drücklich auf die Bibel („Civitatem Dei dicimus, cuius ea scriptura
testis est, quae [...] divina excellens auctoritate [...]“, civ. 11,1; I, p.
461,7 sqq.), nämlich einige Psalmenstellen, darunter zuerst Ps 86,3.
Und am Anfang des zweiten Drittels der zweiten Werkhälfte, d. h. zu
Beginn jener vier Bücher, die aus dem dreiteiligen Programm („exor-
tus, excursus, debiti fines“ der beiden „civitates“) für die Bücher XI-
XXII den „excursus“, also das einzige Stück behandeln, das allenfalls
Weltgeschichte sein könnte, nämlich „hoc [... ] Universum tempus sive
saeculum“ (civ. 15,1; II, p. 58,24 sq.), sagt Augustin, die beiden „genera
hominum“, die sich darin unterscheiden, daß sie gemäß Gott oder
gemäß dem Menschen leben, nenne er auch „mystice [...] civitates
duas, hoc est duas societates hominum“ (civ. 15,1; II. p. 58,13-16).
Augustin weist also selbst auf seinen von der Bibel übernommenen
Wortgebrauch hin45.
(b) Die spezifische Anregung, eben diese Sprache zu übernehmen,
und überhaupt die Aufmerksamkeit auf die „civitas“-Figur und ihre
apokalyptische Auslegung verdankt Augustin dem genannten Apo-
kalypsenkommentar des Tyconius. Auch der oberflächlichste Blick auf
die Tyconiustradition (incl. den Vorstufen bei Augustin selbst, De vera
relig. 50,136-139; De catech. rud. 19,31: CCL 46, p. 156, ed. I. B.
Bauer) lehrt, daß die eschatologische Rede von zwei „civitates“ nichts
fallen alle störenden Assoziationen an Platons Politeia und Cicero, De republica,
und der ,metaphorische4 Charakter des Ausdrucks wird unmittelbar empfunden.
Der common reader, der Augustin liest, hat einerseits in der Regel zumindest
Reminiszenzen an Bibel- und Gesangbuchsprache und ist andererseits, vermöge
impliziter oder expliziter historischer Bildung, vor der anachronistischen Einschie-
bung von Ttohq (griechische Poliskultur, klassische griechische Staatsphilosophie)
zwischen „civitas Dei“ und (Jerusalem als) city, eite, Stadt Gottes geschützt. - Was
die Bedeutung von „civitas“ betrifft, so hat „Herrschaftsverband“ neben der Isolie-
rung von der Bibel (welche Verbindung immerhin ein Element der Bedeutung ist)
den Nachteil, daß es nicht nur ebenso einseitig ist wie andere Begriffe, sondern
auch in der spezifischen Komplexität seines Begriffsinhalts nur mit Duchrows
Erklärung verstanden wird (vgl. Zweireichelehre, S. 243 ff.).
44 Vgl. Thraede, Rom in A.s. civ., S. 113 (132 mit Anm. 27).
45 Vgl. auch civ. 15,2 (II, p. 60); 19,11 (II, p. 371,14 sq.): „ipsius civitatis mysticum
nomen, id est Hierusalem“.
 
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