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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0086
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Ernst A. Schmidt

(2) Fehlübersetzung „peregrinatio“ = „Pilgerschaft zu einem Ziel“.
Syntax, Tradition und „imago“ der „peregrinatio“
Die Vorstellung, in der Augustins Auffassung christlichen Lebens als
zielgerichteten geschichtlich-teleologischen Handelns ihre Metapher
gefunden zu haben schien, ist immer wieder „peregrinatio“ (bzw.
„peregrinari“, „peregrinus“) in der deutschen Lehnübersetzung „Pil-
gerschaft“ (bzw. „pilgern“, „Pilger“) und der damit assoziierten Vor-
stellung des „pilgrim’s progress“ gewesen. Wenn Augustin also sagt,
die „civitas Dei“ in dieser Welt und in dieser Zeit sei „peregrina“ oder
„peregrinans“, so wird daraus,,Fortschritt4 sei „nichts anderes als eine
unermüdliche Pilgerschaft zu einem letzten überirdischen Ziel“ - so
selbst bei Löwith55 -, die „civitas Dei“ sei auf Erden „zu“ ihrem „ewi-
gen Ziel unterwegs“, und ihr Wesen sei „erst als Intention und Hoff-
nung in ihr wirksam“56, „die Wanderung des Volkes“ gelte „dem ewi-
ge(n) Jerusalem“57, „die Zeit“ oder „Weltperspektive“ sei die einer
„(kämpfenden) Pilgerfahrt“ als einer „Bewegung [...] in die erwar-
tende Fülle“58.
Das ist eine Fehlübersetzung, „peregrinari“ heißt nicht „pilgern“,
sondern „in der Fremde sein59, Fremdling sein, in der Emigration
leben60, den Status eines Ausländers haben, Resident alien4 sein“61.
55 Löwith, Weltgeschichte, S. 183 (156). Vgl. auch Anm. 59.
56 Maier, A. u. Rom, S. 159.
57 Flasch, Augustin, S. 264.
Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 1004f. - Die Redeweise von der Pilgerschaft in Anwen-
dung auf „De civitate Dei“ ist älter, als nach den gegebenen Belegen erscheinen
könnte, in denen sie systematische Funktion hat. Selbst Troeltsch (A. u. christl.
Antike, S. 24: „Kirche [...] eine leidensvolle Pilgerin zum Himmel“) hat sich hier
einmal, wenn auch beiläufig und ohne sachliche Konsequenzen, von einem gängi-
gen Klischee nicht befreit. - Neben einzelnen treffenden Bemerkungen zum Feh-
len des Fortschrittsgedankens bei Augustin gegenüber Ambrosius steht bei
Demandt, Metaphern, S. 210-212 und 244f. das Übliche zur Pilgerreise als Heim-
kehr ins Vaterland. Indem „peregrinatio“ als Wanderschaft mit der Metapher des
„procursus“ verbunden wird, erhält dann aber auch die „civitas terrena“ ihren Weg
und ihre Wanderschaft, nämlich in die entgegengesetzte Richtung - was der
urchristlichen und augustinischen Vorstellung der „peregrinatio“ und der Grund-
figur der „civitates“-Lehre widerspricht.
59 Duchrow, Zweireichelehre, S. 259 verbindet diese Vorstellung mit dem aktiv-fina-
len Sinn zu: „in der Fremde zur Vollendung Wandernde“; vgl. S. 265. Sonst aber
passim bei ihm nur „Ziel der Wanderschaft“.
60 Vgl. Duchrow, Zweireichelehre, S. 268: dort allerdings „in der Emigration [...]
pilgern“.
61 Die Metapher behält die Bedeutung, die das Wort in eigentlichem Gebrauch bei
 
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