Zeit und Geschichte bei Augustin
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Die Konsequenz dieses Sachverhalts für „De civitate Dei“ hat Peter
Brown klar erkannt, wenn er ein Kapitel seiner Augustinbiographie
überschreibt: „Stadt Gottes in der Fremde. ,Civitas peregrina4“62.
„Gratia peregrinus deorsum gratia civis sursum“ (civ. 15,1; II, p.
59,7 sq.): die Gegenbegriffe sind Bürger und Fremder, Heimat und
Fremde. Ein „peregrinus“ hat im Unterschied zum Pilger nicht einen
Weg und ein Ziel, dem er ferner oder näher sein kann, dem er näher-
kommen will und näherkommt. Dem Fremdling ist das In-der-
Fremde-Sein nicht Weg, sondern allenfalls Unterwegssein (aber nicht
zu etwas)63, Unbehaustsein64. Statt eines von der Zukunft her
bestimmten Seins, Wollens und Handelns lebt er die Existenz der
Heimatferne. Der Fremde als Fremder tut nichts; Fremder-Sein, In-
der-Fremde-Sein ist keine Tätigkeit, sondern ein Zustand, ein
Geschick. Der Bürger der Gottesstadt, der seine Heimat im Himmel
hat (vgl. z. B. civ. 5,18; I, p. 223,22 sq.: „pro illa aeterna caelestique
patria“) sehnt sich seufzend nach65 dieser Heimat, wartet in Ge-
Augustin hat, z. B. wenn es conf. 5,13, 23 von Ambrosius heißt: „peregrinationem
meam satis episcopaliter dilexit“: beim Antrittsbesuch des neu nach Mailand beru-
fenen Rhetorikprofessors aus Afrika brachte der Bischof pastoral zum Ausdruck,
daß der Ausländer, der in seiner Stadt und Diözese Wohnsitz nahm, ihm willkom-
men sei (vgl. conf. 2, 3, 5: „peregrinari“ in Madaura; „peregrinatio“ in Karthago).
Andere Afrikaner nennt Augustin „cives“ (Mitbürger, Landsleute): vgl. conf. 8, 6,
14: „Ponticianus quidam, civis noster, in quantum Afer“.
62 Brown, Augustinus, S. 274. Zur Begründung, die Brown gibt, vgl. S. 283ff. mit
Anm. 83ff. und u. S. 87.
63 Auch civ. 5,18; I, p. 226,32-227,1 ist keine Ausnahme: „[... ], ut in huius vitae pere-
grinatione expeditior ambulet viam, quae perducit ad patriam“. Die „peregrinatio“
ist nicht der Weg zum Vaterland, aber in der Fremde kann es einen Weg zur Heimat
geben. Dieser Weg ist und bleibt natürlich Christus allein (vgl. z. B. civ. 11,2). Eben-
sowenig conf. 10, 4, 6: „[...] consortium mortalitatis meae, civium meorum et
mecum peregrinorum, praecedentium et consequentium et comitum viae meae“.
64 Vgl. Marc Aurel 2,17: ö öe ßio<; [...] £evou eKiöripia.
65 Das geschichtsphilosophische Vorurteil verführt immer wieder zu Fehlübersetzun-
gen. So heißt es bei Flasch, Augustin, S. 264 zu conf. 9,13, 37: „in aeterna Hierusa-
lem, cui suspirat peregrinatio populi tui ab exitu usque ad reditum“, die Wanderung
des Volkes gelte dem ewigen Jerusalem als Ziel, während der Text eindeutig sagt,
daß das Seufzen ihm gelte, so lange die „peregrinatio“ andauert, „exitus“ und „redi-
tus“ sind nicht selbst intentionale Bestandteile der „peregrinatio“, sondern ihre
äußere Ursache und ihr von außen bewirktes Ende. Denn das Geschick der „pere-
grinatio“ beendet Gott, der die Heimkehr schenkt, nicht der Mensch, geschweige
seine „peregrinatio“ selbst. - Das „Seufzen“ (in diesem Zusammenhang meist
„suspirare“; vgl. z. B. noch conf. 12,15,21; aber auch „gemere“, z. B. conf. 12,16, 23)
ist theologisch die Verschmelzung von Rm 8,22 (Vulg.: „ingemescere“ der Kreatur)
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Die Konsequenz dieses Sachverhalts für „De civitate Dei“ hat Peter
Brown klar erkannt, wenn er ein Kapitel seiner Augustinbiographie
überschreibt: „Stadt Gottes in der Fremde. ,Civitas peregrina4“62.
„Gratia peregrinus deorsum gratia civis sursum“ (civ. 15,1; II, p.
59,7 sq.): die Gegenbegriffe sind Bürger und Fremder, Heimat und
Fremde. Ein „peregrinus“ hat im Unterschied zum Pilger nicht einen
Weg und ein Ziel, dem er ferner oder näher sein kann, dem er näher-
kommen will und näherkommt. Dem Fremdling ist das In-der-
Fremde-Sein nicht Weg, sondern allenfalls Unterwegssein (aber nicht
zu etwas)63, Unbehaustsein64. Statt eines von der Zukunft her
bestimmten Seins, Wollens und Handelns lebt er die Existenz der
Heimatferne. Der Fremde als Fremder tut nichts; Fremder-Sein, In-
der-Fremde-Sein ist keine Tätigkeit, sondern ein Zustand, ein
Geschick. Der Bürger der Gottesstadt, der seine Heimat im Himmel
hat (vgl. z. B. civ. 5,18; I, p. 223,22 sq.: „pro illa aeterna caelestique
patria“) sehnt sich seufzend nach65 dieser Heimat, wartet in Ge-
Augustin hat, z. B. wenn es conf. 5,13, 23 von Ambrosius heißt: „peregrinationem
meam satis episcopaliter dilexit“: beim Antrittsbesuch des neu nach Mailand beru-
fenen Rhetorikprofessors aus Afrika brachte der Bischof pastoral zum Ausdruck,
daß der Ausländer, der in seiner Stadt und Diözese Wohnsitz nahm, ihm willkom-
men sei (vgl. conf. 2, 3, 5: „peregrinari“ in Madaura; „peregrinatio“ in Karthago).
Andere Afrikaner nennt Augustin „cives“ (Mitbürger, Landsleute): vgl. conf. 8, 6,
14: „Ponticianus quidam, civis noster, in quantum Afer“.
62 Brown, Augustinus, S. 274. Zur Begründung, die Brown gibt, vgl. S. 283ff. mit
Anm. 83ff. und u. S. 87.
63 Auch civ. 5,18; I, p. 226,32-227,1 ist keine Ausnahme: „[... ], ut in huius vitae pere-
grinatione expeditior ambulet viam, quae perducit ad patriam“. Die „peregrinatio“
ist nicht der Weg zum Vaterland, aber in der Fremde kann es einen Weg zur Heimat
geben. Dieser Weg ist und bleibt natürlich Christus allein (vgl. z. B. civ. 11,2). Eben-
sowenig conf. 10, 4, 6: „[...] consortium mortalitatis meae, civium meorum et
mecum peregrinorum, praecedentium et consequentium et comitum viae meae“.
64 Vgl. Marc Aurel 2,17: ö öe ßio<; [...] £evou eKiöripia.
65 Das geschichtsphilosophische Vorurteil verführt immer wieder zu Fehlübersetzun-
gen. So heißt es bei Flasch, Augustin, S. 264 zu conf. 9,13, 37: „in aeterna Hierusa-
lem, cui suspirat peregrinatio populi tui ab exitu usque ad reditum“, die Wanderung
des Volkes gelte dem ewigen Jerusalem als Ziel, während der Text eindeutig sagt,
daß das Seufzen ihm gelte, so lange die „peregrinatio“ andauert, „exitus“ und „redi-
tus“ sind nicht selbst intentionale Bestandteile der „peregrinatio“, sondern ihre
äußere Ursache und ihr von außen bewirktes Ende. Denn das Geschick der „pere-
grinatio“ beendet Gott, der die Heimkehr schenkt, nicht der Mensch, geschweige
seine „peregrinatio“ selbst. - Das „Seufzen“ (in diesem Zusammenhang meist
„suspirare“; vgl. z. B. noch conf. 12,15,21; aber auch „gemere“, z. B. conf. 12,16, 23)
ist theologisch die Verschmelzung von Rm 8,22 (Vulg.: „ingemescere“ der Kreatur)