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Ernst A. Schmidt
schichte als Kampf von Gottesstaat und Weltstaat“86. Von Campen-
hausen, Augustin, S. 199 schreibt: „ ,Glaube und Unglaube4 in ihrem
Neben- und Widereinander machen, mit Goethe zu reden, ,das eigent-
liche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte
aus4 Bei Duchrow, Zweireichelehre, S. 249 heißt es von der
„Geschichte der beiden civitates“, daß „deren Gegensätzlichkeit und
Kampf nicht nur der Romfrage, sondern der gesamten Weltentwick-
lung zugrunde liege“.
Inzwischen hat die Formel auch die Lexika erreicht und ist nun als
kleine Münze wohlfeil zu haben: „Augustins De civitate Dei wurde mit
seiner These von den beiden miteinander im Kampf liegenden Prin-
zipien, der civitas dei und der civitas diaboli, des Glaubens und des
Unglaubens, zum Movens der mittelalterlichen Geschichte“ infor-
miert uns der Kleine Pauly87. Vorausgegangen waren in RGG3 Lorenz
und Andresen: „Der Kampf zwischen civitas Dei und civitas diaboli,
zwischen Gottesliebe und Selbstvergötzung, ist das Thema88 der
Menschheitsgeschichte“89 und: Augustin „deutet das Verhältnis von
Heidentum und Christentum als Ringen zwischen Weltstaat und Got-
tesstaat und entwickelt eine Geschichtstheologie, [... ]“90.
Man wird auch dort, wo die Formel noch nicht in mechanischer
Gedankenlosigkeit erstarrtes doxographisches Traditionsgut ist91, kri-
tisch fragen müssen, in welchem Sinn der Goethesche Satz bei den
zitierten Autoren eine echte Aussage macht und einen wesentlichen
Sachverhalt bei Augustin trifft. Als Strukturierung geschichtlicher
Erkenntnis scheint er nur sinnvoll zu sein, wenn er entweder den Pro-
zeß der Weltgeschichte als Auseinandersetzung zwischen Glaube und
Unglaube begreift oder aber das Gesetz ihres Laufes als Wechsel von
Glaubens- und Unglaubensepochen betrachtet. Goethe hatte, wie der
Fortgang des Textes zeigt, eher das letztere im Auge: „Alle Epochen,
in welchen der Glaube herrscht, [...]. Die vier letzten Bücher Mosis
86 Karl Jaspers, Drei Gründer des Philosophierens. Plato, Augustin, Kant, München
1957, S. 152.
87 Klaus Wegenast, Artikel „Augustinus“, Kl. Pauly, Bd. 1 (1975), Sp. 743.
88 Leitvokabel für die Spur von Goethe/Scholz!
89 R. Lorenz, Artikel „Augustin“, RGG3, Bd. 1 (1957), Sp. 746.
90 C. Andresen, Artikel „Apologetik“, RGG3, Bd. 1 (1957), Sp. 482. - Auch über den
deutschen Sprachraum hinaus hat Scholz seine Spuren hinterlassen; vgl. z. B. Mar-
kus, Saeculum, S. 62: “a dramatic conflict of the two cities”.
91 Denn lohnt die Frage noch, wie man es sich vorstellen solle, daß Gottesliebe und
Selbstvergötzung miteinander kämpfen und daß daraus Geschichte entsteht?
Ernst A. Schmidt
schichte als Kampf von Gottesstaat und Weltstaat“86. Von Campen-
hausen, Augustin, S. 199 schreibt: „ ,Glaube und Unglaube4 in ihrem
Neben- und Widereinander machen, mit Goethe zu reden, ,das eigent-
liche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte
aus4 Bei Duchrow, Zweireichelehre, S. 249 heißt es von der
„Geschichte der beiden civitates“, daß „deren Gegensätzlichkeit und
Kampf nicht nur der Romfrage, sondern der gesamten Weltentwick-
lung zugrunde liege“.
Inzwischen hat die Formel auch die Lexika erreicht und ist nun als
kleine Münze wohlfeil zu haben: „Augustins De civitate Dei wurde mit
seiner These von den beiden miteinander im Kampf liegenden Prin-
zipien, der civitas dei und der civitas diaboli, des Glaubens und des
Unglaubens, zum Movens der mittelalterlichen Geschichte“ infor-
miert uns der Kleine Pauly87. Vorausgegangen waren in RGG3 Lorenz
und Andresen: „Der Kampf zwischen civitas Dei und civitas diaboli,
zwischen Gottesliebe und Selbstvergötzung, ist das Thema88 der
Menschheitsgeschichte“89 und: Augustin „deutet das Verhältnis von
Heidentum und Christentum als Ringen zwischen Weltstaat und Got-
tesstaat und entwickelt eine Geschichtstheologie, [... ]“90.
Man wird auch dort, wo die Formel noch nicht in mechanischer
Gedankenlosigkeit erstarrtes doxographisches Traditionsgut ist91, kri-
tisch fragen müssen, in welchem Sinn der Goethesche Satz bei den
zitierten Autoren eine echte Aussage macht und einen wesentlichen
Sachverhalt bei Augustin trifft. Als Strukturierung geschichtlicher
Erkenntnis scheint er nur sinnvoll zu sein, wenn er entweder den Pro-
zeß der Weltgeschichte als Auseinandersetzung zwischen Glaube und
Unglaube begreift oder aber das Gesetz ihres Laufes als Wechsel von
Glaubens- und Unglaubensepochen betrachtet. Goethe hatte, wie der
Fortgang des Textes zeigt, eher das letztere im Auge: „Alle Epochen,
in welchen der Glaube herrscht, [...]. Die vier letzten Bücher Mosis
86 Karl Jaspers, Drei Gründer des Philosophierens. Plato, Augustin, Kant, München
1957, S. 152.
87 Klaus Wegenast, Artikel „Augustinus“, Kl. Pauly, Bd. 1 (1975), Sp. 743.
88 Leitvokabel für die Spur von Goethe/Scholz!
89 R. Lorenz, Artikel „Augustin“, RGG3, Bd. 1 (1957), Sp. 746.
90 C. Andresen, Artikel „Apologetik“, RGG3, Bd. 1 (1957), Sp. 482. - Auch über den
deutschen Sprachraum hinaus hat Scholz seine Spuren hinterlassen; vgl. z. B. Mar-
kus, Saeculum, S. 62: “a dramatic conflict of the two cities”.
91 Denn lohnt die Frage noch, wie man es sich vorstellen solle, daß Gottesliebe und
Selbstvergötzung miteinander kämpfen und daß daraus Geschichte entsteht?