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Arno Borst
durfte. Die alten Instrumente waren so schlecht, daß sie wenig Schaden
stifteten. Aber keine gute Rechenmaschine brachte Segen, wenn sie in
die Hände eines bösen Menschen geriet. Manche studieren heute, wie
Raimund klagte, das Astrolab bloß, um materiellen Reichtum zu
erlangen, nicht um die wunderbare Himmelsmaschine des höchsten
Werkmeisters besser kennenzulernen. Jeder Lehrer der Astrolabkun-
de möge also prüfen, ob die Schüler aus reiner Liebe zur Wissenschaft
seinen Unterricht suchen, am besten durch Errechnung ihres Horo-
skops. Überhaupt stellte Raimund die astrologischen Konstellationen
in den Mittelpunkt seines Werks und sprach nicht umsonst den
astrologus an.164
Wenn größere Präzision der Wissenschaft den Menschen bloß fester
an äußere Einwirkungen fesselte, waren die Alten in ihrer Frömmigkeit
vielleicht doch freier gewesen. Zum Beispiel hob das persönliche
Vorbild Hermanns des Lahmen den Umgang mit dem Astrolab über
das schiere Wissenwollen hinaus in die Sphäre des Gottesdienstes. Der
Franzose Johannes Beleth, bei Benediktinern in der Nähe von Chartres
erzogen, bei Gilbert von Poitiers scholastisch gebildet, rühmte in
seinem weitverbreiteten Handbuch der Liturgie bald nach 1160
Hermann als hervorragenden Komponisten frommer und schöner
Sequenzen. Er fügte hinzu, Hermandus Contractus sei auch der
inventor astralabii gewesen, und überspielte damit, anscheinend
bewußt, den anrüchigen Ursprung des Instruments bei Ptolemaios oder
Gerbert - oder bei Raimund.165
An die Bemerkung Beleths knüpfte eine ebenso erbauliche wie
beschwörende Geschichte an, mit der ein nachträglicher Vermerk das
164 De astrolabio componendo, hg. von Emmanuel Poulle, Le traite d’astrolabe de
Raymond de Marseille, Studi medievali Serie terza 5 (1964) S. 866-900. hier c. 1
S. 875 f. und c. 3 S. 879 Ptolemaios und Azarquiel; c. 2 S. 877 Astrolabgröße; c. 6
S. 883 f. Tierkreisprojektion: c. 7 S. 886-888 Vergleichstabelle; c. 16 S. 894
Buchwissen; Prolog S. 874 Himmelsmaschine; c. 12 S. 889-892 Ethik des
Astrologen. Poulle übersieht Raimunds partielle Abhängigkeit von älteren
Astrolab-Traktaten, wenn er etwa die Erklärung von almuri durch calculator in
c. 7 S. 885 für selten hält. Sie stand bei Hermann und dessen Vorlage, siehe unten
Anhang Anm. 27. Zur Datierung Kunitzsch, Glossar S. 483 f. Zum Gesamtwerk
Haskins, Studies S. 96-98. Zu den toledanischen Tafeln Jose M. Millas
Vallicrosa, Estudios sobre Azarquiel (1943-1950) S. 22-71; zum Universal-
Astrolab unten Anm. 179. Zu anderen, ungedruckten Astrolab-Traktaten
derselben Zeit Poulle, Instruments S. 34-36; Kunitzsch. Glossar S. 485-497.
165 Johannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis c. 38, hg. von Herbert Douteil
(Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis Bd. 41 A, 1976) S. 69.
Arno Borst
durfte. Die alten Instrumente waren so schlecht, daß sie wenig Schaden
stifteten. Aber keine gute Rechenmaschine brachte Segen, wenn sie in
die Hände eines bösen Menschen geriet. Manche studieren heute, wie
Raimund klagte, das Astrolab bloß, um materiellen Reichtum zu
erlangen, nicht um die wunderbare Himmelsmaschine des höchsten
Werkmeisters besser kennenzulernen. Jeder Lehrer der Astrolabkun-
de möge also prüfen, ob die Schüler aus reiner Liebe zur Wissenschaft
seinen Unterricht suchen, am besten durch Errechnung ihres Horo-
skops. Überhaupt stellte Raimund die astrologischen Konstellationen
in den Mittelpunkt seines Werks und sprach nicht umsonst den
astrologus an.164
Wenn größere Präzision der Wissenschaft den Menschen bloß fester
an äußere Einwirkungen fesselte, waren die Alten in ihrer Frömmigkeit
vielleicht doch freier gewesen. Zum Beispiel hob das persönliche
Vorbild Hermanns des Lahmen den Umgang mit dem Astrolab über
das schiere Wissenwollen hinaus in die Sphäre des Gottesdienstes. Der
Franzose Johannes Beleth, bei Benediktinern in der Nähe von Chartres
erzogen, bei Gilbert von Poitiers scholastisch gebildet, rühmte in
seinem weitverbreiteten Handbuch der Liturgie bald nach 1160
Hermann als hervorragenden Komponisten frommer und schöner
Sequenzen. Er fügte hinzu, Hermandus Contractus sei auch der
inventor astralabii gewesen, und überspielte damit, anscheinend
bewußt, den anrüchigen Ursprung des Instruments bei Ptolemaios oder
Gerbert - oder bei Raimund.165
An die Bemerkung Beleths knüpfte eine ebenso erbauliche wie
beschwörende Geschichte an, mit der ein nachträglicher Vermerk das
164 De astrolabio componendo, hg. von Emmanuel Poulle, Le traite d’astrolabe de
Raymond de Marseille, Studi medievali Serie terza 5 (1964) S. 866-900. hier c. 1
S. 875 f. und c. 3 S. 879 Ptolemaios und Azarquiel; c. 2 S. 877 Astrolabgröße; c. 6
S. 883 f. Tierkreisprojektion: c. 7 S. 886-888 Vergleichstabelle; c. 16 S. 894
Buchwissen; Prolog S. 874 Himmelsmaschine; c. 12 S. 889-892 Ethik des
Astrologen. Poulle übersieht Raimunds partielle Abhängigkeit von älteren
Astrolab-Traktaten, wenn er etwa die Erklärung von almuri durch calculator in
c. 7 S. 885 für selten hält. Sie stand bei Hermann und dessen Vorlage, siehe unten
Anhang Anm. 27. Zur Datierung Kunitzsch, Glossar S. 483 f. Zum Gesamtwerk
Haskins, Studies S. 96-98. Zu den toledanischen Tafeln Jose M. Millas
Vallicrosa, Estudios sobre Azarquiel (1943-1950) S. 22-71; zum Universal-
Astrolab unten Anm. 179. Zu anderen, ungedruckten Astrolab-Traktaten
derselben Zeit Poulle, Instruments S. 34-36; Kunitzsch. Glossar S. 485-497.
165 Johannes Beleth, Summa de ecclesiasticis officiis c. 38, hg. von Herbert Douteil
(Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis Bd. 41 A, 1976) S. 69.