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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0030
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Eugen Biser

erfaßt und in die Lebenswirklichkeit des Lesers „übersetzt“ werden
kann.48
Nach alledem wirkt die mediale Transformation reduktiv, dies jedoch
so, daß davon in erster Linie die nichtinformativen Sprachqualitäten
empirie- und evidenzvermittelnder Art betroffen sind. Die dem Apostel
sonst so spontan verfügbare Befähigung zur Sprachsuggestion geht in
die Briefe somit nur vom Rand her ein. Der sich gerade unter diesem
Gesichtspunkt nahelegende Philemonbrief bietet keinen Gegenbeweis
dazu, da er lediglich als „Kommentar“ zu dem „auf fleischernen Her-
zenstafeln“ (2Kor 3,3) geschriebenen Original in Gestalt des Überbrin-
gers gedacht ist, um dessen großmütige Aufnahme der Begleit- und Ge-
leitbrief (Phlm. 1,12. 17) bittet.49
Bevor man diese Spur weiter verfolgt, sollte man jedoch auf jene
Äußerungen achten, die Auskunft über das mit dem Schreibakt einher-
gehende Begleitbewußtsein des Apostels geben, weil dadurch etwas
von der Eigenleistung der Schriftlichkeit in den Blick kommt, nicht zu-
letzt auch von ihrer Eignung, das nur in vermittelter Rede Sagbare aus-
zudrücken. Sie lassen insgesamt auf eine im Vergleich zum Sprechakt
erhöhte Reflexivität schließen, die sich ebenso auf die Qualität der
Botschaft wie auf die Kompetenz des Verkünders bezieht. Während er
48 Nach Vorstufen bei Origenes (In Num., hom. 9, n. 4) und Gregor von Nyssa (In
Cant., hom. 15) wird das Theorem vor allem von Augustin aufgegriffen und in ,De
Spiritu et Littera4 (von 412) mit einer Wendung ins Moralische expliziert; dabei bezieht
sich das „Töten“ auf den vom liebenden Gott distanzierenden „Geist der Furcht“, das
„Lebendigmachen“ dagegen auf die Befähigung, das Gute um seiner selbst willen zu
lieben und so, im Blick auf die neu lesbar gewordene Inschrift Gottes im menschlichen
Wesensgrund, aus der Freiheit der Gotteskinder zu handeln. Im Zug der neuzeitlichen
Motivgeschichte beziehen sich insbesondere Lessings ,Axiomata‘ (III und IV) auf das
Theorem; dazu auch der von ihm in seinen .Briefen an verschiedene Gottesgelehrten4
eingeführte Begriff der „Bibliolatrie“ (Werke in drei Bänden, 800).
49 Dennoch wird man gerade in diesem Zusammenhang die Bemerkung Adolf Deiss-
manns zu beherzigen haben, „daß man von einem Briefe ohne Kenntnis des Originals
eigentlich keinen rechten Begriff erhält“, und daß die Buchabschriften und Druckaus-
gaben gerade den Paulusbriefen mehr entzogen, als man gemeinhin ahnt: Licht vom
Osten, Tübingen 1923, 138. Wie sich am Philemonbrief ersehen läßt, sind die Paulus-
briefe in keinem Fall „Primärverkündigung“, sondern - selbst im Grenzfall des an eine
nicht von Paulus gegründete Gemeinde adressierten Römerbriefs - „Begleitschreiben“
zu dem durch die mündliche Predigt „auf fleischerne Herzenstafeln“ (2Kor 3,3) ge-
schriebenen „Original“. Insofern verfolgen sie weniger einen „konstituierenden“ als
vielmehr einen „subsidiären“ und das besagt: klärenden, verdeutlichenden und vertie-
fenden Zweck. Nur bedingt kann deshalb die Primärverkündigung des Apostels aus
ihnen erhoben werden.
 
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