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DER LEIPZIGER REFORMATIONSENTWURF

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Das Ergebnis war der »Leipziger Reformationsentwurf« in fünfzehn Artikeln, von
denen nur die ersten zwei, die die Rechtfertigung und den freien Willen behandeln,
doktrinärer Art sind. Die übrigen enthalten entweder eine Mischung von Lehre und
Zeremonien oder betreffen die Verfassung der Kirche, während der letzte sich mit
der Aufgabe und der Befugnis der weltlichen Obrigkeit befaßt. Diese spröde Auf-
zählung zeigt schon, daß der Lehrinhalt des Entwurfes gering ist. Sogar eine heiß-
umstrittene Sache wie die Abendmahlslehre kann in einen Satz von wenigen Wor-
ten, und zwar im Anschluß an die Formulierung der Augsburger Konfession, gefaßt
werden, während der Artikel selbst bei weitem der ausführlichste ist. Das hat mit
dem Ziel des Entwurfes zu tun; er zielte laut der Einleitung auf die Kirchen ab, »die
der reformation ... begeren«16, d.h. die eine einschneidende Umänderung des gan-
zen Kirchenwesens in all seinen Teilen zustande bringen wollten, nicht nur und
sogar nicht an erster Stelle in der Lehre.

In der Einleitung zu den Artikeln werden diese wie folgt charakterisiert: »auß den
Gottlichen schrifften, leher der bewerten Vätter vnnd Christlichen Ordinantzen der
alten concilien... zusammen gesetzt«17. Witzel nannte sie später abschätzig eine
»rhapsodische collocution«18 und beanstandete damit das Fehlen eines inneren
Zusammenhanges. Bucer sprach mit Recht im Titel seiner Ausgabe, die erst 1545
erschien, von »ein leidlicher anefang Christlicher vergleichung«19. In einem
Anhang, genannt »Bericht zum Christlichen Leser«20, besprach er verschiedene
Artikel und zeigte sich mit dem Inhalt einverstanden. Im zweiten, erweiterten
Druck dieser Schrift ging er näher darauf ein und machte einen Unterschied zwi-
schen Lehre und Brauchtum. Die Lehre war seiner Meinung nach gesund: »die
einige und reine Christliche leere«. Bezüglich der Bräuche wies er darauf hin, daß
Herzog Georg »an den alten kirchengebreuchen sehr hart hienge«21. Selbst wollte er
nicht um äußerer Bräuche willen die Möglichkeit einer rechten Reform in dessen
Ländern verpassen. Bekanntlich hat Bucer auf jeden Fall seit 1534 prinzipiell die
Möglichkeit einer Verständigung aufgrund der Schriften der bewährten Väter und
der Kanones der alten Konzilien befürwortet22. Jetzt konnte er in der kirchlichen
Praxis die Möglichkeit einer derartigen Verständigung anzeigen23.

16. S. 23, Z. 8-9. Cardauns sprach vom Leipziger Reunionsentwurf.

17. S. 23, Z. 4-6.

18. Witzel, Warer Bericht; ARC 6, S. 20, Z. 27.

19. Bucer, Bedencken, Bl. A1a.

20. Bucer, Bedencken, Bl. G1b-H4a.

21. Bucer, Bedencken. 2. Aufl., Bl. I2b.

22. Schon 1533 hat B. in der Schrift Furbereytung zum Concilio die Bedingungen für eine Wie-
dervereinigung der zerstrittenen Christen programmatisch zu formulieren versucht. Danach
bestehe die christliche Einheit in Glauben und Liebe, die mit einer Pluriformität in den Kirchen-
bräuchen sehr wohl einhergehen kann; s. BDS 5,S. 355-362. Für diese Sicht beruft er sich seit 1530
zunehmend auf das Zeugnis der Alten Kirche. In seiner Defensio adversus axioma catholicum vom
Jahre 1534 hat er zum ersten Mal die anfänglich zweifache, später dreifache Norm von heiligen
Schriften, Werken der Väter und Beschlüssen der altkirchlichen Konzilen ausgearbeitet.

23. In den Besprechungen wurde dieser Aspekt auch konkret erörtert. In seinem »Bericht«
erzählt B. beispielsweise in seiner Verteidigung des Abendmahlsartikels: »Es warde in dem gesprech
offtmals der alten Apostolischen kirchen gedacht und gemeldet, das man deren zeugnuß auch haben
 
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