1. Artikel belangende dy religion, Anno 1539
Der Leipziger Reformationsentwurf (Januar 1539)
Einleitung
Im Januar 1539 schreibt der junge Calvin etwas wichtigtuerisch an Farel über Bucer,
der, als er auf der Rückreise nach Straßburg schon unweit der Stadt war, »ad novum
negocium retractus fuit, aporre|ton quidem illud, sed quod tibi in aurem insusur-
rabo«. Herzog Georg der Bärtige habe ihn und Melanchthon aufgefordert, nach
Leipzig zu Verhandlungen »de religione ac ecclesiae reformatione« zu kommen1.
Es handelte sich in der Tat um etwas Neues und Unerwartetes, um einen Versuch,
im albertinischen Sachsen einen Ausweg aus den religiösen Schwierigkeiten zu
suchen2. Nach dem Tode von Georgs des Bärtigen Sohn Johann im Jahre 1537 war
nach dem geisteskranken Friedrich Georgs lutherischer Bruder Heinrich der nächste
Prätendent. Unter der Bevölkerung war die Zerrissenheit groß, und der Katholizis-
mus konnte sich in diesen Gebieten kaum behaupten. Es wundert nicht, daß Georgs
Räte versuchten, zu einer Lösung der religiösen Frage zu gelangen. Besonders
Georg von Carlowitz, Schwager des bekannten Meissener Domdechanten Julius
Pflug, war daran beteiligt. Im Oktober 1538 unterbreitete er Landgraf Philipp von
Hessen in Leipzig seine Pläne, die darauf zielten, die Protestierenden sollten auf die
Augsburgische Konfession verzichten und dem Kaiser erklären, »dass sie die refor-
mation leiden wollen nach der apostolischen kirchen und den vier concilien nach den
aposteln, und wie es also tausend jahr nach der himmelfahrt Christi in der kirchen
gehalten ist worden, wie es dann die alten lehrer der kirchen geschrieben und gelernt
haben«3.
Obwohl die genaue Herkunft dieser Pläne unbekannt ist, kennt man den Kreis, in
dem sie entwickelt wurden. Georg Witzel, befreundet mit Julius Pflug, war schon
einige Monate in Leipzig wohnhaft, wo er auf Anordnung des Herzogs die Kirchen-
väter studierte betreffs der Frage, »was und wie ... es doch bey den ersten zeiten
unserer allerheiligsten Religion gewesen«4. Seine Studien mündeten in »Collecta-
1. Herminjard 5, Nr. 767, S. 229 = CR Cal 10B, Nr. 158, Sp. 315.
2. Vgl. für den Leipziger Entwurf im allgemeinen Cardauns, S. 1-24; O.A. Hecker: Religion
und Politik in den letzten Lebensjahren Herzog Georgs des Bärtigen von Sachsen. Leipzig 1912.
S. 72-109; Stupperich, S. 44-48; Augustijn, S. 16-24; G. Wartenberg: Die Leipziger Religionsge-
spräche von 1534 und 1539. Ihre Bedeutung für die sächsisch-albertinische Innenpolitik und für das
Wirken Georgs von Karlowitz. In: Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. G. Müller.
SVRG 191. Gütersloh 1980. S. 35-41; Hollerbach, S. 120-123.
3. E. Brandenburg: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen.
Bd. 1. Leipzig 1900. Nr. 17, S. 23, Z. 21-25.
4. Witzel, Typus, Bl. A 2a. Georg Witzel (1501-1573) studierte seit 1516 in Erfurt, 1520 in
Wittenberg, wo Luther und Melanchthon seine Lehrer waren. 1525 wurde er Pfarrer in Niemegk bei
Wittenberg. Schon 1530 geriet er in Schwierigkeiten und 1531 kehrte er zur alten Kirche zurück.
Nach schwierigen Jahren wurde er 1538 an den Hof Georgs von Sachsen berufen. Nach dessen Tod
Der Leipziger Reformationsentwurf (Januar 1539)
Einleitung
Im Januar 1539 schreibt der junge Calvin etwas wichtigtuerisch an Farel über Bucer,
der, als er auf der Rückreise nach Straßburg schon unweit der Stadt war, »ad novum
negocium retractus fuit, aporre|ton quidem illud, sed quod tibi in aurem insusur-
rabo«. Herzog Georg der Bärtige habe ihn und Melanchthon aufgefordert, nach
Leipzig zu Verhandlungen »de religione ac ecclesiae reformatione« zu kommen1.
Es handelte sich in der Tat um etwas Neues und Unerwartetes, um einen Versuch,
im albertinischen Sachsen einen Ausweg aus den religiösen Schwierigkeiten zu
suchen2. Nach dem Tode von Georgs des Bärtigen Sohn Johann im Jahre 1537 war
nach dem geisteskranken Friedrich Georgs lutherischer Bruder Heinrich der nächste
Prätendent. Unter der Bevölkerung war die Zerrissenheit groß, und der Katholizis-
mus konnte sich in diesen Gebieten kaum behaupten. Es wundert nicht, daß Georgs
Räte versuchten, zu einer Lösung der religiösen Frage zu gelangen. Besonders
Georg von Carlowitz, Schwager des bekannten Meissener Domdechanten Julius
Pflug, war daran beteiligt. Im Oktober 1538 unterbreitete er Landgraf Philipp von
Hessen in Leipzig seine Pläne, die darauf zielten, die Protestierenden sollten auf die
Augsburgische Konfession verzichten und dem Kaiser erklären, »dass sie die refor-
mation leiden wollen nach der apostolischen kirchen und den vier concilien nach den
aposteln, und wie es also tausend jahr nach der himmelfahrt Christi in der kirchen
gehalten ist worden, wie es dann die alten lehrer der kirchen geschrieben und gelernt
haben«3.
Obwohl die genaue Herkunft dieser Pläne unbekannt ist, kennt man den Kreis, in
dem sie entwickelt wurden. Georg Witzel, befreundet mit Julius Pflug, war schon
einige Monate in Leipzig wohnhaft, wo er auf Anordnung des Herzogs die Kirchen-
väter studierte betreffs der Frage, »was und wie ... es doch bey den ersten zeiten
unserer allerheiligsten Religion gewesen«4. Seine Studien mündeten in »Collecta-
1. Herminjard 5, Nr. 767, S. 229 = CR Cal 10B, Nr. 158, Sp. 315.
2. Vgl. für den Leipziger Entwurf im allgemeinen Cardauns, S. 1-24; O.A. Hecker: Religion
und Politik in den letzten Lebensjahren Herzog Georgs des Bärtigen von Sachsen. Leipzig 1912.
S. 72-109; Stupperich, S. 44-48; Augustijn, S. 16-24; G. Wartenberg: Die Leipziger Religionsge-
spräche von 1534 und 1539. Ihre Bedeutung für die sächsisch-albertinische Innenpolitik und für das
Wirken Georgs von Karlowitz. In: Die Religionsgespräche der Reformationszeit, hg. G. Müller.
SVRG 191. Gütersloh 1980. S. 35-41; Hollerbach, S. 120-123.
3. E. Brandenburg: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen.
Bd. 1. Leipzig 1900. Nr. 17, S. 23, Z. 21-25.
4. Witzel, Typus, Bl. A 2a. Georg Witzel (1501-1573) studierte seit 1516 in Erfurt, 1520 in
Wittenberg, wo Luther und Melanchthon seine Lehrer waren. 1525 wurde er Pfarrer in Niemegk bei
Wittenberg. Schon 1530 geriet er in Schwierigkeiten und 1531 kehrte er zur alten Kirche zurück.
Nach schwierigen Jahren wurde er 1538 an den Hof Georgs von Sachsen berufen. Nach dessen Tod