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WORMSER BUCH, DEUTSCH (1541)
burger Ausschuß ihn sogar schnell beiseite gelegt und eine eigene Formulierung
dargeboten hat. Der Artikel ist aber kein Einzelfall: diese Tendenz ist allgemein
nachweisbar.
Ein Vergleich des Wormser/Regensburger Buches mit dem Leipziger Reforma-
tionsentwurf zeigt, daß der Aufbau im großen und ganzen der gleiche ist: in beiden
wird die Rechtfertigungslehre an erste Stelle gerückt und der Sakramentslehre große
Aufmerksamkeit gewidmet, in beiden wird die Regierung der Kirche, und nament-
lich ihr hierarchischer Aufbau, eingehend erörtert und das Interesse auf das kirchli-
che Brauchtum gelenkt. Auch die benutzten Formulierungen sind bisweilen ver-
gleichbar. In der Definierung der Abendmahlslehre sind die beiden Entwürfe zwar
nicht identisch - das »adesse« fehlt im Leipziger Reformationsentwurf-, aber in
ihrer Angleichung an die Augsburgische Konfession einander doch ähnlich. Den-
noch sind die Unterschiede erheblich. Im Leipziger Entwurf fehlt die Siebenzahl der
Sakramente, sowie ein Artikel über die Kirche, und wird die Anrufung der Heiligen
abgelehnt. Wichtiger als die Aufzählung von Einzelheiten ist die Feststellung, daß
sich die beiden Entwürfe in ihrer gesamten Art voneinander unterscheiden. Darin
spielt der Unterschied der Personen, mit denen Bucer zu verhandeln hatte, eine
Rolle. Witzel stand der Reformation viel näher als Gropper, Gropper aber war der
bessere Theologe. Auch hatten die beiden, obwohl sie gleichaltrig waren, eine unter-
schiedliche Einstellung zur Kirche, der sie dienten. Witzel wußte um die Unzuläng-
lichkeit der mittelalterlichen Kirche und sehnte sich nach einer radikalen Reform, im
Reformwollen Groppers standen die Verteidigung und Erhebung der seit zwei Jahr-
zehnten von der Reformation angegriffenen Kirche im Mittelpunkt. Die beiden Ent-
würfe atmen somit einen unterschiedlichen Geist.
Sowohl im Wormser/Regensburger Buch wie im Leipziger Reformationsentwurf
wird der Kirche der ersten Jahrhunderte ein wichtiger Platz eingeräumt. Trotzdem
ist auch in dieser Hinsicht der Unterschied erheblich. Im Leipziger Reformations-
entwurf wird die altkirchliche Praxis im liturgischen und institutioneilen Bereich als
Muster für die gewünschte Reform hervorgehoben. Im Wormser/Regensburger
Buch spielt nicht die Praxis die Hauptrolle, sondern hier sind die Lehren der Kir-
chenväter und die institutioneilen Vorschriften der Kirche, wie sie in den Kanones
der ersten Jahrhunderte begegnen, entscheidend. Im Vordergrund steht das theolo-
gische Interesse. Ersteres, das Interesse für die altkirchliche Praxis, verdanken wir
Witzel, letzteres Gropper und zweifelsohne auch Bucer, der, wie zum Beispiel seine
Schrift Per quos steterit zeigt, auf diesem Gebiet gut bewandert war. Das Wormser/
Regensburger Buch ist in theologischer Hinsicht somit ungleich stärker als der Leip-
ziger Reformationsentwurf.
Vorausblickend können wir sagen, daß in der Ära der Religionsgespräche14 kein
so ausgewogener Entwurf mehr abgefaßt werden sollte und sich künftig nie eine
bessere Möglichkeit mehr darbieten würde, eine Übereinstimmung zu erreichen.
34. Der Ausdruck findet sich in F. Lau/E. Bizer: Reformationsgeschichte Deutschlands bis 1555.
Die Kirche in ihrer Geschichte K. Göttingen 1964. S. K 109. L. Pastor: Die kirchlichen Reunionsbe-
strebungen während der Regierung Karls V. Freiburg im Breisgau 1879, war der erste, der dieses
Thema eigens studiert hat.
WORMSER BUCH, DEUTSCH (1541)
burger Ausschuß ihn sogar schnell beiseite gelegt und eine eigene Formulierung
dargeboten hat. Der Artikel ist aber kein Einzelfall: diese Tendenz ist allgemein
nachweisbar.
Ein Vergleich des Wormser/Regensburger Buches mit dem Leipziger Reforma-
tionsentwurf zeigt, daß der Aufbau im großen und ganzen der gleiche ist: in beiden
wird die Rechtfertigungslehre an erste Stelle gerückt und der Sakramentslehre große
Aufmerksamkeit gewidmet, in beiden wird die Regierung der Kirche, und nament-
lich ihr hierarchischer Aufbau, eingehend erörtert und das Interesse auf das kirchli-
che Brauchtum gelenkt. Auch die benutzten Formulierungen sind bisweilen ver-
gleichbar. In der Definierung der Abendmahlslehre sind die beiden Entwürfe zwar
nicht identisch - das »adesse« fehlt im Leipziger Reformationsentwurf-, aber in
ihrer Angleichung an die Augsburgische Konfession einander doch ähnlich. Den-
noch sind die Unterschiede erheblich. Im Leipziger Entwurf fehlt die Siebenzahl der
Sakramente, sowie ein Artikel über die Kirche, und wird die Anrufung der Heiligen
abgelehnt. Wichtiger als die Aufzählung von Einzelheiten ist die Feststellung, daß
sich die beiden Entwürfe in ihrer gesamten Art voneinander unterscheiden. Darin
spielt der Unterschied der Personen, mit denen Bucer zu verhandeln hatte, eine
Rolle. Witzel stand der Reformation viel näher als Gropper, Gropper aber war der
bessere Theologe. Auch hatten die beiden, obwohl sie gleichaltrig waren, eine unter-
schiedliche Einstellung zur Kirche, der sie dienten. Witzel wußte um die Unzuläng-
lichkeit der mittelalterlichen Kirche und sehnte sich nach einer radikalen Reform, im
Reformwollen Groppers standen die Verteidigung und Erhebung der seit zwei Jahr-
zehnten von der Reformation angegriffenen Kirche im Mittelpunkt. Die beiden Ent-
würfe atmen somit einen unterschiedlichen Geist.
Sowohl im Wormser/Regensburger Buch wie im Leipziger Reformationsentwurf
wird der Kirche der ersten Jahrhunderte ein wichtiger Platz eingeräumt. Trotzdem
ist auch in dieser Hinsicht der Unterschied erheblich. Im Leipziger Reformations-
entwurf wird die altkirchliche Praxis im liturgischen und institutioneilen Bereich als
Muster für die gewünschte Reform hervorgehoben. Im Wormser/Regensburger
Buch spielt nicht die Praxis die Hauptrolle, sondern hier sind die Lehren der Kir-
chenväter und die institutioneilen Vorschriften der Kirche, wie sie in den Kanones
der ersten Jahrhunderte begegnen, entscheidend. Im Vordergrund steht das theolo-
gische Interesse. Ersteres, das Interesse für die altkirchliche Praxis, verdanken wir
Witzel, letzteres Gropper und zweifelsohne auch Bucer, der, wie zum Beispiel seine
Schrift Per quos steterit zeigt, auf diesem Gebiet gut bewandert war. Das Wormser/
Regensburger Buch ist in theologischer Hinsicht somit ungleich stärker als der Leip-
ziger Reformationsentwurf.
Vorausblickend können wir sagen, daß in der Ära der Religionsgespräche14 kein
so ausgewogener Entwurf mehr abgefaßt werden sollte und sich künftig nie eine
bessere Möglichkeit mehr darbieten würde, eine Übereinstimmung zu erreichen.
34. Der Ausdruck findet sich in F. Lau/E. Bizer: Reformationsgeschichte Deutschlands bis 1555.
Die Kirche in ihrer Geschichte K. Göttingen 1964. S. K 109. L. Pastor: Die kirchlichen Reunionsbe-
strebungen während der Regierung Karls V. Freiburg im Breisgau 1879, war der erste, der dieses
Thema eigens studiert hat.