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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]; Niederquell, Theodor [Bearb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 14 : Heidelberger Reihe ; Band 5): Die Inschriften der Stadt Fritzlar — München: Druckenmüller, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.53159#0027
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Kapitalis
Sieht man von der Inschrift des Kelchs Nr. 79 ab, der gewiß nicht in Fritzlar hergestellt wurde, so
tritt uns im Bearbeitungsgebiet die Kapitalis erstmalig auf einem Grabstein des Jahres 1521 Nr. 88 ent-
gegen. Da eine Reihe von Denkmälern aus den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erhalten
sind, ist keine zufällige Lücke in der Überlieferung für das späte Auftauchen verantwortlich zu machen.
Die Tatsache - wie auch das Überspringen der frühhumanistischen Kapitalis - bestätigt die auch aus an-
deren Quellen deutlich werdende schwindende Stellung Fritzlars als kultureller Mittelpunkt. Nicht das
Stift, das in früheren Perioden für Neuerungen auf geistigem Gebiet tonangebend war, hat die ersten
Kapitalisinschriften veranlaßt, sondern bezeichnenderweise das kapitalstarke und kulturell fortschrittliche
Patriziat (Nr. 88, 89 und 97).
Die Kapitalis hat große Mühe sich durchzusetzen und bleibt gegenüber der gotischen Minuskel der
Anzahl der Belege nach bis zum Jahre 1570 unterlegen. Nicht nur in der Gestaltung der Schrift, sondern
dem gesamten künstlerischen Habitus nach läßt sich an den Fritzlarer Denkmälern ein Rückschritt ablesen,
der gewiß in ursächlichem Zusammenhang mit den politischen und konfessionellen Umwälzungen steht,
die sich zu dieser Zeit in der Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung vollzogen haben. Erst im Zuge
der allgemeinen Beruhigung nach dem Augsburger Religionsfrieden tritt mit einer gewissen Verzögerung
auch in Fritzlar die Normalisierung ein, die sich in lebhafter Bautätigkeit und einer spürbaren Entfal-
tung des künstlerischen Lebens äußert. Damit verschwindet mit dem Jahre 1570 endgültig die gotische
Minuskel und die Kapitalis wird alleinherrschend.
Die drei von R. M. Kloos beobachteten Stufen der Kapitalis1) lassen sich am Fritzlarer Material nicht
mit gleicher Deutlichkeit ablesen. Die erste Stufe zeigt sich allenfalls bei Nr. 88 und 89, kommt aber
wegen des späten Auftauchens nicht zum Tragen. Die dritte kann sich nicht durchsetzen, da - nach einer
Phasenverschiebung von etwa 20 Jahren - der beginnende 30jährige Krieg epigraphische Äußerungen
praktisch abgeschnitten hat. Es bleibt nur die mittlere Stufe, die sicli auch hier in vielen Beispielen durch
zahlreiche Ligaturen, Kürzungen, Enklaven und eng zusammengerückte Buchstabengruppen mit teilweise
schrägen Hasten bemerkbar macht. Mit Sicherheit kommen nach dem ersten Auftreten im Jahre 1590 die
runden U immer wieder vor, teils ausschließlich, teils neben der spitzen Form.
Gotische Minuskel
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß das Kapitel von St. Peter in Fritzlar eine so aufwendige und unge-
wöhnliche Arbeit wie das Hochgrab des Heiligen Wigbert im Jahre 1340 bei einer Bildhauerwerkstatt
am Ort in Auftrag gegeben hat. Demnach stände die erste Inschrift in gotischer Minuskel auf einem
Importstück, Nr. 13. Jedoch hat die führende Werkstatt am Platze sogleich diese Neuerung übernommen,
denn die vier Grabplatten mit hohem, figürlichem Relief aus den Jahren 1348-1351 Nr. 16 und 17, 22 und
23 zeigen eine ähnliche, breite, erhabene gotische Minuskel. DieseWerkstatt läßt sich mit einiger Sicherheit
in Fritzlar lokalisieren2). In dieser frühen Übernahme manifestiert sich die Stadt als eine Station auf dem
Wege zwischen Mainz und Erfurt, die an der Kommunikation der Kulturgüter zwischen diesen beiden
Hauptorten des ersten geistlichen Staates des Heiligen Römischen Reiches teilnahm. Von den in dieser
Sammlung darauffolgenden Inschriften in gotischer Majuskel sind nur fünf mit Sicherheit nach den oben
genannten Denkmälern zu datieren, davon sind drei Glockeninschriften, bei denen sich die überkommene
Majuskel lange zu halten pflegt. Die Rückfälle in jene Schriftart sind jedenfalls in Fritzlar nach den ein-
drucksvollen Beispielen in gotischer Minuskel selten gewesen. Keiner der Fritzlarer Belege hat die anderswo
beobachtete frühe Form der Minuskel, die sich in starrer Gleichartigkeit der nahe aneinandergerückten,
aber unzusammenhängenden Buchstabenelemente äußert3). Schon die ersten Beispiele (z.B. Nr. 16)
haben Majuskelbuchstaben beibehalten und auch später findet sich kaum eine längere Inschrift, in der
völlig auf sie verzichtet wäre. Nur an Stelle der gotischen Majuskel dringen nach dem ersten Auftauchen
der Kapitalis im Jahre 1521 Versahen aus dieser Schriftart ein.
Die örtlichen Abweichungen im Erscheinungsbild der gotischen Minuskel scheinen viel weniger als
z.B. bei der gotischen Majuskel verschiedene Stadien einer Entwicklung zu sein, sondern Eigenarten be-
stimmter Werkstätten. Es ist der Vorteil eines eng begrenzten Bearbeitungsgebietes wie im vorliegenden
Falle, daß - ausgegangen von der Überlegung, daß in einem bestimmten Zeitraum alle Denkmäler aus
derselben Werkstatt geliefert wurden4) - sich diese Eigenarten örtlicher Betriebe sehr deutlich ablesen

’) DI. V (München), S. XXIIIf.
2) Vgl. die kunstgeschichtl. Anmerkungen.
3) DI. XII (Heidelberg), S. XXI.
4) Vgl. die kunstgeschichtl. Anmerkungen.

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