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Niederquell, Theodor [Bearb.]; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 14 : Heidelberger Reihe ; Band 5): Die Inschriften der Stadt Fritzlar — München: Druckenmüller, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.53159#0028
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lassen. Daraus erhellt, daß es die größere oder geringere handwerkliche Geschicklichkeit der Angehörigen
eines solchen Betriebes ist, die das Schriftbild bestimmt und nicht eine entwickeltere oder weniger ent-
wickelte Form der gotischen Minuskel.
Zwei Denkmälergruppen, die ihrer Herkunft nach zusammengehören, lassen sich deutlich heraus-
stellen. Von der ersten sind die Nummern 48, 56 und 58 in Abbildung beigegeben. Sie zeichnet sich durch
besonders exakte, erhabene und nicht überschlanke Buchstaben aus, sowie durch merkwürdige Zierfäden
bei a, r und e. Die zweite ist in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts entstanden und wurde durch den
Stiftsscholaster Hermann Hankrat veranlaßt. Abgebildet ist Nr. 83. Hier ist die Ausgestaltung der Schrift
in Stilparallele zu setzen mit dem, was man bisweilen als „barocke Gotik“ bezeichnet hat, eine Periode,
die am augenfälligsten durch den Breisacher Altar vertreten ist. Der vordergründige Zweck der Schrift
ist durch ihre ornamentale Gestaltung in den Hintergrund getreten. Nur wegen der einwandfreien Er-
haltung ist die Inschrift - man möchte fast sagen - trotzdem zu lesen. Das verwitterte Exemplar Nr. 84
dagegen stellte den Bearbeiter vor eine unlösbare Aufgabe. Derartig extreme Schriftformen stellen keine
allgemeine Entwicklungsstufe dar, sondern sind - mit Fremdformen aus der Kapitalis in Höhe der übrigen
Buchstaben und bizarren Worttrennungszeichen - Merkwürdigkeiten einer eigenwilligen Meisterhand.
Allenfalls kann das, was nach der Mitte des 16. Jahrhunderts in Fritzlar noch an gotischer Minuskel gelie-
fert wurde, als eine ausgeartete Spätform bezeichnet werden. Fremdformen aus der Kapitalis sind häufig,
das Erscheinungsbild nähert sich dem der Inschriftenfraktur. Bei Nr. 116 deuten die gespaltenen Ober-
längen in diese Richtung. Der „gitterartige“ Charakter der Minuskel ist verlorengegangen. Die Abbil-
dung zu Nr. 125 aus dem Jahre 1570, die am Ende dieser Periode steht, mag in ihrer ganzen handwerklichen
Unbeholfenheit einen Eindruck von der kümmerlichen Rückständigkeit Fritzlarer Kunstäußerungen
in dieser Zeit geben.
Inschriftenfraktur findet sich nur auf einem Kelch vom Jahre 1626, der laut Inschrift nicht nach Fritz-
lar gehörte.
Die ohnehin seltene humanistische Minuskel war bei den geistigen Gegebenheiten am Ort im 16. Jahr-
hundert nicht zu erwarten.

Fritzlarer Inschriftensammler
Als Inschriftensammler ist für Fritzlar vor allem der Stiftsdekan von B.M.V. ad Gradus in Mainz und
spätereWormserWeihbischof Stephan Alexander Würdtwein zu nennen. Er ließ Inschriften an den Orten
des Kurfürstentums Mainz als Quellengrundlage für Werke zur Mainzischen und allgemeinen Kirchen-
geschichte aufzeichnen. Unter dem Datum des 21. Januar 1765 ging ein von ihm veranlaßtes Rund-
schreiben der geistlichen Regierung in Mainz hinaus, das die Vorsteher aller Stifts-, Kloster- und Pfarr-
kirchen aufforderte, die vorhandenen Inschriften aufzuschreiben und, besonders bei Grabinschriften,
beigegebene Wappen und ihre Anordnung abzuzeichnen oder zu beschreiben1).
Das Ergebnis dieses Aufrufs ließ Würdtwein in einer Foliohandschrift zusammenfassen, die sich im
Besitz des Nassauischen Altertumsvereins in Wiesbaden befand, sich aber nach kriegsbedingter Aus-
lagerung bis heute noch nicht wiedergefunden hat. Sie enthielt 64 Inschriften aus Fritzlar2).
Der Verlust ist für Fritzlar nicht zu bedauern, da erhalten ist, was am Ort aufgezeichnet und abge-
schrieben wurde, um Würdtweins Wünschen nachzukommen. Nur vollständige Inschriften und was -
unter dem Blickwinkel Würdtweins - Quellenwert zu haben schien, wurde in die Sammelhandschrift
übernommen, Fragmentarisches blieb unberücksichtigt. Dies Material wurde bisher noch nicht benutzt,
deshalb sei es hier ausführlich beschrieben.
In einem Konvolut getrennt von dem übrigen Nachlaß Würdtweins bewahrt das Hauptstaatsarchiv in
Wiesbaden unter der Signatur 1098 Abtlg. II, nr. n die 49 Blätter mit 101 Inschriften auf, die von Fritzlar
nach Mainz geschickt wurden. Für die einzelnen Kirchen wurde das Material von verschiedenen Personen
gesammelt und gezeichnet und so differieren die Genauigkeit der Wiedergabe und der Quellenwert
beträchtlich.
Die Aufzeichnung der 79 Inschriften der Stiftskirche und ihrer Nebengebäude und der 6 aus der
Johanniskirche am oberen Friedhof wird von einem Altaristen gemacht worden sein und ist - wie sich
an erhaltenen Denkmälern nachweisen läßt - recht ungenau. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen
entfernt die Nachzeichnung gotischer Minuskel versucht wurde, sind alle Inschriften in Kapitalis wieder-

-1) DI. II (Mainz), S. 23 f.
2) B. u. K., S. 65, Anm. 4.

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