reiche Rahmenarchitektur mit der Grabschrift in der Sockelzone anzunehmen. Da auszuschließen ist,
daß die Verstümmelung von der Museumsverwaltung vorgenommen wurde, muß sie bereits vor Ver-
kauf des Bildes in Herrenberg vorgenommen worden sein. Ein Beweis dafür, daß die Verstümmelung
von Holz-Epitaphien kein Einzelfall war, ist das Vorhandensein einer Serie von Fragmenten gemal-
ter Tafeln des 16. und 17.Jahrhunderts mit betenden Familien in verschiedenen Museen148.
Sucht man Gründe für dieses bilderfeindliche Vorgehen, ist man zunächst versucht, an das Ge-
winnstreben gewissenloser Händler zu denken, die ja auch Retabel ohne Bedenken zertrennten. Da
aber in Herrenberg die Bildtafeln der Spätrenaissance mit den Themen des Gebets am Ölberg, des
Erbärmde-Christus in der Kelter, der Auferstehung, der Verklärung Christi und der Hesekiel-Vision
nach der Neufassung der Kirche in neugotischem Stile 1891 im Kirchenraum verblieben, kann eine
Erklärung sein, daß man den Wert guter Bildtafeln zu schätzen wußte, daß aber Epitaphien als Ver-
gegenwärtigung des Todes für eine spätere Epoche nicht nur entbehrlich, sondern sogar unerwünscht
geworden waren. Hier in Herrenberg waren keine Seitenkapellen wie in der Uracher Stadtkirche
vorhanden, in die man die Epitaphien verbannen konnte. Also hat man sie der kurzlebigen Neu-
konzeption des Historismus untergeordnet und die Inschriften zerstört.
5.5 Farbige Fassung
Die Frage nach der farbigen Fassung von Steindenkmälern ist wegen des allgemein schlechten Er-
haltungszustandes für das Bearbeitungsgebiet nicht eindeutig zu beantworten. Jedenfalls sind min-
destens für die Wappen Tinkturen anzunehmen. Ein Werk des Jeremias Schwartz mit heute noch
tingierten Wappen ist die Wappentafel von 1610 am Leonberger Schloß (nr. 331). Tmgierte Wappen
besitzen auch die Werke des Georg Miler, so das ihm zugeschriebene Grabdenkmal in Merklingen
(nr. 336) und das Weiler Sakramentshaus von 1611 (nr. 334); an letzterem ist auch eine Teilfassung der
Figuren zu beobachten, deren Augen und Lippen farblich betont sind. Eine Farbfassung der In-
schriften — hier in Gold auf schwarzem Grund — ist ebenfalls nur an diesen beiden Werken fest-
zustellen. Eine vollständige und naturalistische Farbfassung ist nur noch am Epitaph der Kinder Puck
(1625; nr. 371) aus der Werkstatt Leonberg II vorhanden, also an einem Denkmal, das den Innenraum
nie verlassen mußte und deshalb hervorragend erhalten ist.
5.6 Sprache und Formular
Allgemeine Überlegungen zu Form und Inhalt mittelalterlicher Grabinschriften können hier entfal-
len. Den ausführlichen Darlegungen in den Einleitungen der Inschriftenbände DI 38 (Bergstraße),
DI 41 (Göppingen), DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) und DI 46 (Minden) ist nichts hinzuzusetzen,
das nicht auch für den Lkr. Böblingen zuträfe. Wie andernorts ist die lateinische Sprache die aus-
schließlich gebrauchte Sprache der Inschriften bis zu der ersten deutschsprachigen Gedenkinschrift
auf die Grundsteinlegung (nr. 38) am Pfarrturm in Weil der Stadt, die zwischen 1388 und etwa 1400
anzusetzen ist. Die frühen deutschen Grabschriften von 1388, 1393, 1449 und 1450 (nrr. 37, 39, 57,
62) sind nur kopial überliefert und daher nicht zuverlässig. Erst ab etwa 1480 setzt sich die Volks-
sprache zunehmend durch. Am Anfang steht die Seelgerätstiftung von 1481 in Holzgerlingen (nr. 89);
darauf folgen zwei kirchliche Bauinschriften von 1487 und 1488 (nrr. 97, 99) und eine Reihe von
Glocken aus den Jahren 1492, 1493, 1495 (nrr. 105, 110, 113) u.ö. Die erste gesicherte Grabschrift in
deutscher Sprache ist 1491 für den Obervogt Wilhelm von Münchingen entstanden (nr. 101). Aus
diesem späten Datum folgt, daß eine Textanalyse der mittelalterlichen Inschriften des Kreises wenig
Erfolg verspricht, weil der dezimierte Bestand zu wenige Inschriften mit einem gesicherten Wortlaut
enthält, um Vergleiche mit den Inschriften der Nachbargebiete anzustellen oder überhaupt ein Urteil
zu erlauben.
Im 16. und 17.Jahrhundert tritt ein Wandel ein: die deutsche Inschrift dominiert in allen Textar-
ten. Nur Grabschriften des katholischen Klerus halten zuweilen noch am Latein fest wie auch die In-
148 Mindestens neun Fragmente von Epitaphien unbekannter Herkunft sind in Stuttgart, WLM, im Depot Pragstraße
erhalten. In der Schausammlung der Stuttgarter Staatsgalerie befindet sich das Fragment mit der knienden Familie
des Friedrich Jacob von Anweil, gest. 1532. Es ist 1514 datiert und vermutlich ein Werk des Ulmer Malers Martin
Schaffner; Hauptbild und Rahmung fehlen; vgl. Wiemann, Altdeutsche Malerei. Kat. d. Württ. Staatsgalerie. Stutt-
gart 1989, Abb. 57. Gemalte Epitaphien aus dem Umkreis des Lukas Cranach mit knienden Familien, aber ohne die
abgeschnittenen Grabschriften, befinden sich auch im Museum der Bildenden Künste in Leipzig.
XXXIX
daß die Verstümmelung von der Museumsverwaltung vorgenommen wurde, muß sie bereits vor Ver-
kauf des Bildes in Herrenberg vorgenommen worden sein. Ein Beweis dafür, daß die Verstümmelung
von Holz-Epitaphien kein Einzelfall war, ist das Vorhandensein einer Serie von Fragmenten gemal-
ter Tafeln des 16. und 17.Jahrhunderts mit betenden Familien in verschiedenen Museen148.
Sucht man Gründe für dieses bilderfeindliche Vorgehen, ist man zunächst versucht, an das Ge-
winnstreben gewissenloser Händler zu denken, die ja auch Retabel ohne Bedenken zertrennten. Da
aber in Herrenberg die Bildtafeln der Spätrenaissance mit den Themen des Gebets am Ölberg, des
Erbärmde-Christus in der Kelter, der Auferstehung, der Verklärung Christi und der Hesekiel-Vision
nach der Neufassung der Kirche in neugotischem Stile 1891 im Kirchenraum verblieben, kann eine
Erklärung sein, daß man den Wert guter Bildtafeln zu schätzen wußte, daß aber Epitaphien als Ver-
gegenwärtigung des Todes für eine spätere Epoche nicht nur entbehrlich, sondern sogar unerwünscht
geworden waren. Hier in Herrenberg waren keine Seitenkapellen wie in der Uracher Stadtkirche
vorhanden, in die man die Epitaphien verbannen konnte. Also hat man sie der kurzlebigen Neu-
konzeption des Historismus untergeordnet und die Inschriften zerstört.
5.5 Farbige Fassung
Die Frage nach der farbigen Fassung von Steindenkmälern ist wegen des allgemein schlechten Er-
haltungszustandes für das Bearbeitungsgebiet nicht eindeutig zu beantworten. Jedenfalls sind min-
destens für die Wappen Tinkturen anzunehmen. Ein Werk des Jeremias Schwartz mit heute noch
tingierten Wappen ist die Wappentafel von 1610 am Leonberger Schloß (nr. 331). Tmgierte Wappen
besitzen auch die Werke des Georg Miler, so das ihm zugeschriebene Grabdenkmal in Merklingen
(nr. 336) und das Weiler Sakramentshaus von 1611 (nr. 334); an letzterem ist auch eine Teilfassung der
Figuren zu beobachten, deren Augen und Lippen farblich betont sind. Eine Farbfassung der In-
schriften — hier in Gold auf schwarzem Grund — ist ebenfalls nur an diesen beiden Werken fest-
zustellen. Eine vollständige und naturalistische Farbfassung ist nur noch am Epitaph der Kinder Puck
(1625; nr. 371) aus der Werkstatt Leonberg II vorhanden, also an einem Denkmal, das den Innenraum
nie verlassen mußte und deshalb hervorragend erhalten ist.
5.6 Sprache und Formular
Allgemeine Überlegungen zu Form und Inhalt mittelalterlicher Grabinschriften können hier entfal-
len. Den ausführlichen Darlegungen in den Einleitungen der Inschriftenbände DI 38 (Bergstraße),
DI 41 (Göppingen), DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) und DI 46 (Minden) ist nichts hinzuzusetzen,
das nicht auch für den Lkr. Böblingen zuträfe. Wie andernorts ist die lateinische Sprache die aus-
schließlich gebrauchte Sprache der Inschriften bis zu der ersten deutschsprachigen Gedenkinschrift
auf die Grundsteinlegung (nr. 38) am Pfarrturm in Weil der Stadt, die zwischen 1388 und etwa 1400
anzusetzen ist. Die frühen deutschen Grabschriften von 1388, 1393, 1449 und 1450 (nrr. 37, 39, 57,
62) sind nur kopial überliefert und daher nicht zuverlässig. Erst ab etwa 1480 setzt sich die Volks-
sprache zunehmend durch. Am Anfang steht die Seelgerätstiftung von 1481 in Holzgerlingen (nr. 89);
darauf folgen zwei kirchliche Bauinschriften von 1487 und 1488 (nrr. 97, 99) und eine Reihe von
Glocken aus den Jahren 1492, 1493, 1495 (nrr. 105, 110, 113) u.ö. Die erste gesicherte Grabschrift in
deutscher Sprache ist 1491 für den Obervogt Wilhelm von Münchingen entstanden (nr. 101). Aus
diesem späten Datum folgt, daß eine Textanalyse der mittelalterlichen Inschriften des Kreises wenig
Erfolg verspricht, weil der dezimierte Bestand zu wenige Inschriften mit einem gesicherten Wortlaut
enthält, um Vergleiche mit den Inschriften der Nachbargebiete anzustellen oder überhaupt ein Urteil
zu erlauben.
Im 16. und 17.Jahrhundert tritt ein Wandel ein: die deutsche Inschrift dominiert in allen Textar-
ten. Nur Grabschriften des katholischen Klerus halten zuweilen noch am Latein fest wie auch die In-
148 Mindestens neun Fragmente von Epitaphien unbekannter Herkunft sind in Stuttgart, WLM, im Depot Pragstraße
erhalten. In der Schausammlung der Stuttgarter Staatsgalerie befindet sich das Fragment mit der knienden Familie
des Friedrich Jacob von Anweil, gest. 1532. Es ist 1514 datiert und vermutlich ein Werk des Ulmer Malers Martin
Schaffner; Hauptbild und Rahmung fehlen; vgl. Wiemann, Altdeutsche Malerei. Kat. d. Württ. Staatsgalerie. Stutt-
gart 1989, Abb. 57. Gemalte Epitaphien aus dem Umkreis des Lukas Cranach mit knienden Familien, aber ohne die
abgeschnittenen Grabschriften, befinden sich auch im Museum der Bildenden Künste in Leipzig.
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